US-Serie "Boardwalk Empire": Halbe Gangster? Gibt es nicht
Prohibition, Whiskey-Schmuggel und verbrecherische Politiker: Am Mittwoch startet das US-Epos "Boardwalk Empire" im deutschen Fernsehen (Mittwoch, 20.15 Uhr, TNT).
Wenn es eine anrührende Geschichte über die Geburt des organisierten Verbrechens bräuchte, wäre es diese hier. Frühchen unter 1.500 Gramm im Ladenlokal an der Promenade begaffen kostet 25 Cent pro Nase, der Strand ist immer nah - und ein gewisser Al Capone ist noch ein aus Chicago zugereister Italoamerikaner mit eher schlichten Ambitionen. Willkommen in Atlantic City, wo es trotz der eben eingeführten Prohibition immer noch mehr als genug Whiskey gibt. Geradezu gesittet geht es zu für einen Mafiafilm, was vielleicht auch daran liegt, das "Boardwalk Empire" streng genommen gar keiner ist.
Hier organisiert das Verbrechen die demokratisch gewählte Stadtverwaltung selbst, die Kants kategorischen Imperativ in seine konsequent-optimistische US-Version überführt: Tu das, was dir nützt, es tut dann auch den anderen gut. Die Grenzen zwischen Gut und Böse, Illegalem und Erlaubten werden immer ungenauer. Und die Mittel heiligt sowieso der Zweck. Selten kam nackte Gewalt so pragmatisch daher.
Politiker, kein Gangster
Die Serie: "Boardwalk Empire" startet am Mittwoch um 20.15 Uhr auf dem deutschen Pay-TV-Kanal TNT. Der Sender zeigt zunächst die erste Staffel der US-Serie.
Die historische Vorlage: Eine sehenswerte Dokumentation über den "echten" Enoch Lewis "Nucky" Johnson, gibt es für lau unter www.pressofatlanticcity.com/blogs/boardwalk_empire
Die Auszeichnungen: Bei den Golden Globes wurde "Boardwalk Empire" als "Beste Drama-Serie" und Steve Buscemi als "Bester Hauptdarsteller" ausgezeichnet.
Nicht, dass es hier an der Küste von New Jersey keine Probleme gäbe: Denn es ist nun mal dieser verflixte 17. Januar 1920, an dem pünktlich um Mitternacht die vom US-Kongress beschlossene Prohibition in Kraft tritt. Und längst nicht alle sind so gut darauf vorbereitet wie Enoch "Nucky" Thompson, der sein Netzwerk aus offiziellen und nicht ganz so legalen Gestalten längst auf die neuen Zeiten eingeschworen hat: Der "Canadian Club"-Whiskey kommt jetzt eben als Schmuggelware über den See und wird etwas teurer, aber sonst ist (fast) alles beim Altem.
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Der ehrenwerte Nucky Thompson ist keinesfalls ein Gangster oder auch nur eine höchst zwielichtige Gestalt. Er ist ein politischer Mover und Shaker, der als überzeugter Republikaner die altehrwürdige Position des städtischen Kämmerers nur etwas anders, großzügiger interpretiert. Zum eigenen Wohl wie zu dem der Gemeinde: Nucky hält die Hand auf, und jeder tut gern etwas hinein. Vom Großhotelier bis zum obersten Skipper der örtlichen Fischfangflotte. Dass die Polizei von Atlantic City auch noch von Nuckys Bruder Elias geführt wird, ist blanker Zufall, aber hilft ungemein.
Doch mit dem Alkoholverbot brechen neue Zeiten an in dem verwöhnten Urlaubs- und Amüsierort der Reichen wie weniger Betuchten. Denn auch den "echten" Gangstern aus Chicago und New York ist die strategisch günstige Lage von Atlantic City aufgefallen, und sie wollen mitspielen auf diesem großen Spielplatz an der Ostküste, in diesem Vegas, bevor es Las Vegas wirklich gab.
"Boardwalk Empire" - der berühmte Plankenweg, die Promenade von Atlantic City stand als Namengeber Pate - zeigt die untergegangene Pracht der "Roaring Twenties" mit einer Brillanz und Detailversessenheit, wie es so nur bei amerikanischen Pay-TV-Sendern möglich ist. Es sind epische Bilder, die einen umhauen. Und ein Drehbuch, dass anders als bei deutschen Ausstattungshöchstleistungen wie der am Wochenende bei RTL laufenden "Hindenburg"-Luftschiffsaga nicht gegen das Setting abfällt.
HBO schlägt zurück
Produziert wird "Boardwalk Empire" vom Kabelkanal HBO. Der war früher ungekrönter König des großen Kinos im Fernsehen - musste zuletzt aber hinter der Werbeleute-Serie "Mad Men" vom Konkurrenzkanal AMC zurückstecken. "Boardwalk Empire" ist jetzt der gelungene Versuch, die Spitzenposition zurückzuholen.
Und dafür ist nichts zu teuer: Martin Scorsese hat beim Pilotfilm Regie geführt und damit Stil wie Charakter für die gesamte Serie vorgegeben. 60 Millionen Dollar sollen allein die ersten 13 Folgen gekostet haben. Und dass mehr als ein Hauch des HBO-Erfolgs "Sopranos" über der Serie liegt, ist natürlich auch kein Zufall. "Sopranos"-Autor Terence Winter hat auch "Boardwalk Empire" geschrieben, man stolpert schon im Pilotfilm ständig über Verbindendes. Steve Buscemi, der als "Nucky" Thompson "Boardwalk Empire" fast allein trägt, hat bei drei Folgen der "Sopranos" Regie geführt und in späteren Staffeln Tony Sopranos Cousin Tony Blendetto gespielt.
HBO setzt mit der Serie auf einer realen Story auf: Enoch Lewis "Nucky" Johnson (1883-1968) war in den 1920er- und 1930er-Jahren tatsächlich für die Finanzen von Atlantic City wie für die Verbindung zum organisierten Verbrechen zuständig, großer Whiskeyschmuggler, großer kommunaler Wohltäter und republikanischer Deal-Maker, bis er 1941 wegen Steuerhinterziehung hinter Gitter musste. Wie sein reales Vorbild lebt auch der Film-Nucky nicht zu Hause im bescheidenen Eigenheim, sondern in einer luxuriösen Zimmerflucht des Ritz-Carlton Hotels direkt am Boardwalk. "Macht" Richter und Bürgermeister, schlägt sich mit den FBI-Agenten herum, die versuchen, die Prohibition durchzusetzen. Und trauert seiner verstorbenen Frau Mabel nach.
Doch "Boardwalk Empire" ist gerade keine Verfilmung des Lebens des echten Nucky Johnson. Bei allen "Sopranos"-Anklängen ist die Serie auch beileibe kein bloß zeitlicher "Vorläufer" für die psychologisch leicht aus dem Lot geratene ehrenwerte Soprano-Familie. Und "Boardwalk Empire" ist schon gar kein düster-klassisches Mafia-Epos, das sich ständig Richtung "Der Pate" verbeugen müsste. HBO ziegt hier eher eine ganz eigene Variante des American Dream, des Glaubens an die eigene Schaffens- und Durchsetzungskraft der Menschen, ihrem - zum guten Teil eben höchst illegalen, aber verfassungsmäßig festgeschriebenen - Pursuit of Happiness. "I wish you luck, but you don't seem to need it", sagt Steve Buscemi als Nucky Thompson zu den zugereisten jungen Gangstern aus New York. "We make our luck ourselves", lautet deren nüchterne wie bitterernste Antwort.
Wenn sich Buscemi in der Anlage seiner Rolle des Nucky überhaupt vor jemandem verbeugt, dann vor dem anderen ganz großen Knautschgesicht: Wenn er seinem Fahrer und Handyman Jimmy, der eben traumatisiert aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt nur noch töten will, sein "You got brains kid, you gotta future" entgegennuschelt, hat das mehr als nur ein bisschen von Humphrey Bogart.
Böses als Mittel zum Guten
Buscemis Rolle lebt, wie der ganze Film, von der ewigen Frage nach Gut und Böse, und bei aller Farbigkeit liegt ein entschiedenes Grau über seinem Charakter. Denn man nimmt diesem Nucky Thompson ab, dass für ihn das Böse eigentlich nur Mittel ist, um das Gute zu erreichen - natürlich unter der Prämisse, dass das ganze Leben ein Geschäft und für Geld alles zu haben ist.
So hält er gleich zu Beginn von "Broadwalk Empire" erst vor den rechtschaffenen Damen der Stadt eine rührende Rede für die Prohibition und macht sich für das 1920 noch nicht eingeführte Frauenwahlrecht stark. Um gleich danach die nötigen Vorkehrungen zu treffen, dass der Alkohol weiter fließt. Bei aller Abgezocktheit trauert er zutiefst verletzt und rührend menschlich seiner vor sieben Jahren verstorbenen Frau nach und kann es nicht ausstehen, wenn ihn seine heutigen Geliebten beim Sex "Cowboy" nennen.
"You can't have dead bodies lying about in the road. It's bad for business" sagt Nucky nüchtern, nachdem Jimmy den neuen Gegnern aus New York eine Whiskey-Fuhre wieder abgenommen hat. Doch die Tage dieses kleinen Königs von Atlantic City, der freigiebig den Armen hilft und hier und da Robin-Hood-Statuts genießt, sind gezählt. "You can't be half a gangster, Nucky", sagt Jimmy am Schluss der ersten Pilotfolge, "not anymore".
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