US Open: Frechheit und Finesse
Tommy Haas steht nach einem denkwürdigen Spiel gegen Blake im Viertelfinale der US Open. Nun trifft er auf den Russen Davydenko - gegen den hat er im Vorjahr verloren.
NEW YORK taz Es gab keinen Jubel, keinen Schrei, keinen vor Freude taumelnden Sieger; da standen nur zwei Männer am Netz, blickten zur großen Videowand hinauf und sahen in Zeitlupe dem Flug des letzten Balles zu. Es war das stille Ende eines großen Spiels, von dem Tommy Haas hinterher sagte, es sei ein Drama ohne Ende gewesen. Er meinte ein nicht zu überbietendes Drama, aber der Satz stimmte auch so. Alles war drin im Zauberkasten dieses Spiels gegen James Blake an einem traumhaft schönen Sommertag in New York. Feurige Ballwechsel, Höhen und Tiefen, Hechtsprünge, Kunststücke und mutige Attacken, Spannung und Hoffnungen, Matchbälle hüben und drüben.
Der Sieger konnte danach guten Gewissens behaupten, nicht oft in seiner Karriere besser gespielt zu haben als bei diesem Knüller in fünf Sätzen (4:6, 6:4, 3:6, 6:0, 7:6). Sogar der berühmteste aller Kommentatoren war mächtig beeindruckt. "Das hier lässt Tommy Haas in einem ganz neuen Licht erscheinen", schwärmte John McEnroe hinterher. "Alles, was er hinter sich hat, das hat sich für dieses Spiel gelohnt". Scheinbar unbeeindruckt steckte Haas den Verlust des ersten Satzes weg, führte im kuriosen zweiten 5:2, vergab einen Satzball, sah Blake näher kommen, und allein der wechselvolle Verlauf dieses Satzes hätte früher gereicht, um ihn aus der Fassung zu bringen. Aber genau das war, unabhängig vom Spielstand und von der jeweiligen Dominanz, seine größte Leistung an diesem Tag: Es war bis weit hinauf im riesigen Stadion zu spüren und zu sehen, dass er jederzeit bereit für die Herausforderung war. Auch nach dem Verlust von Satz Nummer drei verlor er die Nerven nicht; umgehend schlug er zurück, hielt damit die Masse der Blake-Fans unter den 20.000 Zuschauern in Schach und spielte im vierten Satz Tennis vom Besten, inklusive einer Reihe unwiderstehlicher Volleys. Er gewann acht Spiele in Folge. Im fünften Satz dann verpasste Haas die Chance, auf 5:2 zu erhöhen,ganz knapp, und das Blatt schien sich noch mal zu wenden. Blake holte auf, führte auf einmal 5:4.
Mit einem Doppelfehler schenkte Haas Blake den ersten Matchball, mit einem vergebenen Elfmeter am Netz den zweiten und mit einem Rückhandfehler den dritten. Doch er rettete sich mit knallharten ersten Aufschlägen: 5:5. Dann der Tiebreak, den es bei den Grand-Slam-Turnieren nur in New York gibt. "Ich mag das", sagt Haas, "da weiß man wenigstens, dass es nicht mehr ewig weitergehen kann".
Die Zuschauer waren begeistert von den Wechselfällen und Wendungen dieses Spiels und von der Klasse der beiden da unten. Sie sahen nun einen Ballwechsel, den sie so bald nicht vergessen werden. Haas spielte zuerst einen Lob und dann noch einen hinterher, der an Frechheit, Finesse und Bereitschaft zum Risiko kaum zu überbieten war. Blake reckte sich, aber der Ball senkte sich über ihn hinweg ins Feld. "Wenn das schief gegangen wäre", sagt Haas, "dann hätte es gerappelt im Stadion".
Es war der Punkt ohne Wiederkehr für James Blake. Mit einem Doppelfehler und einem Ball, der neben der Linie landete, servierte er Haas drei Matchbälle, Der schlug ein letztes Mal auf, Blake bemühte das elektronische Überwachungssystem, doch es rettete ihn nicht mehr. Versonnen lächelnd sah Tommy Haas zu, wie der Ball die Linie berührte, und die einzigen, denen dieses Ende nicht gefiel, waren die Fotografen; sie hatte vergeblich auf den Jubel gehofft.
Solche Siege setzten gewöhnlich Legionen von Endorphinen in Gang, aber Haas wird sicher rechtzeitig auf dem Boden landen - dafür sorgt schon der Name des Gegners. Im Viertelfinale am Mittwoch wird er wie im vergangenen Jahr an gleicher Stelle gegen den Zähesten der Zähen spielen, Nikolai Dawydenko. Damals hatte Haas in fünf Sätzen gegen den Russen verloren, aber inzwischen gibt es die aufbauende Wirkung eines anderen Spiels. Im Viertelfinale der Australian Open in diesem Jahr hatte er in fünf Sätzen zuerst die bösen Geister seiner Unzufriedenheit und danach zum ersten Mal auch Dawydenko besiegt. Haas sagt über den Russen: "Er scheint bei den großen Turnieren immer sein bestes Tennis zu finden". Es hat ein wenig gedauert, aber das tut er jetzt auch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!