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US-Künstler Morgan Fisher in WienDer Fragensteller

„The Frame and Beyond“ in der Wiener Generali-Foundation zeigt Arbeiten des US-Künstlers Morgan Fisher. Anachronistisch erzählt die Ausstellung vom Kampf des Subjekts.

Was ist Farbe? Was sieht man? Morgan Fisher Ausstellungsansicht, Wien, 2012. Bild: foundation generali

In dem Video „Protective Coloration“ aus dem Jahr 1979 sieht man, wie Morgan Fisher sein eigenes Verschwinden inszeniert. Die Kamera ist bewegungslos frontal auf den Künstler gerichtet, der, am Tisch sitzend, mit einem grünen Chirurgen-Shirt bekleidet, von rechts ins Bild hereingereichte Dinge entgegennimmt und der Reihe nach und an- und überzieht. Plastikvampirzähne, Mundschutz, Nasenklammern, Schutzbrillen, Gummihandschuhe, diverse Badekappen. Diese Gegenstände sind einfarbig, monochrom.

Das ist von Bedeutung. In geduldiger Ruhe verschließt Fisher mit ihnen Augen, Ohren, Mund, Nase und Haut, alle Sinne, bis am Schluss dieses grausam-komischen Prozesses der Selbstmumifizierung von ihm nichts weiter übrig bleibt als ein Alien. Die Nasenklammern müssen wehtun, unter den Masken dürfte das Atmen kaum möglich sein. Doch das stört nicht. Keine Mühe ist zu scheuen, wenn es darum geht, den Künstler wegzumachen und anderem zur Sichtbarkeit zu verhelfen.

Um viel Unsichtbares geht es in der Morgan-Fisher-Ausstellung „The Frame and Beyond“, die derzeit in der Wiener Generali-Foundation zu sehen ist. Sie zeichnet – in Kooperation mit dem Museum Abteiberg in Mönchengladbach – retrospektiv den Weg Morgan Fishers vom Film zur Malerei nach und seine in jedem Medium verfolgte konstruktivistische Obsession.

Einer Anekdote zufolge hatte der studierte Kunsthistoriker Fisher immer Maler werden wollen. Doch weil er nicht wusste, wie er das anstellen sollte, arbeitete er zunächst in Hollywood als Cutter und machte Filme, die Fragen der Filmtechnik, des Verhältnisses von Bild und Ton beispielsweise, des Filmausschnitts oder der Farbe thematisieren.

Obsessiver Konstruktivist

Die Wiener Ausstellung zeigt einige seiner Filmarbeiten, etwa den berühmten nur aus Filmanschnitten bestehenden „Standard Gauge“ (1984), vor allem aber auch Zeichnungen und jene Arbeiten, die die Auseinandersetzung des heute 70-jährigen Amerikaners mit der Malerei verdeutlichen. Sein Werk bleibt zeitlebens stark von den Impulsen der Konzeptkunst der sechziger Jahre bestimmt. „Nicht komponieren“ ist das Hauptziel. Die frühen, von Minimal-und Popart beeinflussten Motive wie Filmdosen („Study for Film Can and Film Box“, 1968/69) oder eine Pepsi-Cola-Kiste („Untitled“, 1968), zeichnet Fisher nicht perspektivisch, sondern isometrisch, das heißt nach genauen Abmessungen.

Überhaupt zeichnet er nicht, sondern er sprüht. Immer geht es darum, eine Objektivität des Vorgefundenen möglichst subjektlos umzusetzen. Das gilt bis hin zu den spielerischen Versuchen mit „Selbstportraits“ („Studies for Paintings“) aus dem Jahr 2006, die aussehen wie Hochhausschattenrisse, weil Fisher quantifizierte Körpermaße in Balkenform umsetzt.

Auch die Farbe soll rein sein, nicht gemischt, kein Pinselstrich ist zu sehen. Fisher arbeitet mit Gegenüberstellungen von Komplementärfarben oder aber mit dem neutralen Grau. Seine „Italian Paintings“ aus dem Jahr 1999 sind Holzschnitte, die aus Umrissen von (natürlich einfarbigen) italienischen Reiseführern abgeleitet sind. Der Buchumriss, der Buchrücken, der Schatten des Buches geben klare Formen vor, deren Negativ Fisher dann aus Holzplatten aussägt.

Grau

Es bleiben nur geometrische Formen übrig. Farbe: Grau. Aus sattem Grau sind auch die „French Toast Paintings“ (2005), die eigentlich keine Bilder, sondern Farbskulpturen sind. Hier hat Fisher Leinwand in einer Pfanne dick in Farbe getaucht, das fertige „Bild“ ist eine gummiartige graue Matte, die liegend auf einem Sockel ausgestellt ist. Das ist die Auslöschung des Bildes mit Mitteln der Malerei, im Monochrom ist sie auf ihre minimalste Ausdrucksform reduziert.

Das Werk Morgan Fishers ist in hohem Maß intellektuell und schwer zugänglich. Ohne Wissen um das, was er will, blieben die ausgestellten Zeichnungen und Farbarrangements meist unverständlich und abstrakt. Lässt man sich aber auf ihre Idee ein, gewinnen sie ihre eigene ästhetische Evidenz. Das gilt vor allem für die Monochrombilder, deren in Schwarzlicht getauchte Varianten „Aliens“ heißen.

Auf die Idee einlassen

Es ist das Verdienst der Wiener Ausstellung, dass sie Fishers schön zu lesende Werkerklärungen gut dokumentiert und dass sie Morgan Fisher als jemand zeigt, der im Medium der Kunst penetrant und obsessiv philosophische Fragen stellt. Was ist ein Bild? Was ist Farbe? Was sieht man? Wer sieht? Fisher stellt diese Fragen als Negativ – indem er das, was er befragt, einfach weglässt oder übersteigt: Beyond the Frame.

Der Kampf des Subjekts gegen die eigene Subjektivität ist natürlich nicht zu gewinnen. Selbst die technischste, abstrakteste Herangehensweise bleibt eine Komposition, irgendwer hat sich ja ausgedacht, die Maße so zu arrangieren, wie sie arrangiert sind. Auch im eingangs beschriebenen Video „Protective Coloration“, so schreibt Fisher, „machte ich mich für mich selbst unsichtbar, und … damit gleichzeitig für andere umso sichtbarer.“

Das wirkt heute fast schon anachronistisch. Beim Anschauen der Wiener Ausstellung wird auf unheimliche Weise klar, wie stark das künstlerische Subjekt noch war, als es an seiner eigenen Auslöschung arbeiten wollte. Heute, so scheint es, kämpft die Kunst wieder verzweifelt um individuellen Selbstausdruck, weil der viel beschworene „Tod des Subjekts“ sich auf ganz andere Weise erfüllt hat, als man in den sechziger Jahren noch dachte.

„Morgan Fisher. The Frame and Beyon“. Generali-Foundation Wien, bis 29. Juli 2012. Katalog, Verlag Walther König.

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