US-Filmemacher über Schlaflosigkeit: "Die anderen wissen, was ich mache"
Ein Gespräch mit dem New Yorker Avantgardefilmer Jonas Mekas über "Tausendundeine Nacht" und seinen neuen Film, "Sleepless Night Stories" (Forum).
![](https://taz.de/picture/278753/14/jonas_mekas.20110218-19.jpg)
taz: Herr Mekas, seit mehr als zwei Monaten schlafe ich sehr schlecht. Haben Sie einen Rat für mich?
Jonas Mekas: Lesen Sie "Tausendundeine Nacht". Das inspirierte mich zu diesem Film. Ich habe die zwölfbändige Ausgabe, eine riesige Sammlung von Geschichten. Aber eigentlich schlafe ich gut; Schwierigkeiten habe ich nur, wenn ich reise und an Jetlag leide. Ich reise allerdings recht viel.
Und was passiert dann? Lesen Sie Geschichten aus "Tausendundeine Nacht"?
Normalerweise gehen wir so lange aus, wie es möglich ist. Das hängt vom Ort ab.
Schlaflosigkeit führt zu einem besonderen Bewusstseinszustand, nicht wahr?
Werdegang: Mekas wurde 1922 in Litauen geboren und 1944 in ein deutsches Arbeitslager verschleppt. Nach dem Krieg studierte er in Mainz Philosophie. 1949 emigrierte er nach New York und begann zu filmen. Außerdem gründete er 1960 die Zeitschrift Film Culture und zehn Jahre später das Anthology Film Archive in New York. Heute gilt er als einer der wichtigsten Avantgardefilmer in den USA.
Werk (Auswahl): "Reminiscences of a Journey to Lithunia" (1972), "Lost Lost Lost" (1975), "As I was Moving Ahead Occasionally I saw Brief Glimpses of Beauty" (2000). Seit etwa zehn Jahre fertigt er auch Installationen an.
Sie führt in eine andere Welt und stiftet eine besondere Sensibilität. Aber ich fürchte, ich habe keinen guten Rat gegen Schlaflosigkeit.
Ich lese viel.
Lesen ist vermutlich das Beste. Ich arbeite nachts. Wenn ich meine Filme schneide, fange ich in der Regel um 11 Uhr abends an. Um 2 Uhr morgens schläft die Stadt. Nichts von all den bösen Gedanken, die vorher in der Luft hingen, ist spürbar. Die Ideen können kommen, die Musen finden ihren Weg zu mir, die Luft ist rein.
Und Sie sind nicht müde?
Nein. Je mehr ich arbeite, umso wacher werde ich.
Der besondere Bewusstseinszustand bedingt auch eine besondere Wahrnehmung.
Was Leute nachts reden, unterscheidet sich von dem, was sie tagsüber reden. Man lässt sich auf neue Themen ein, ist offener, entspannter, all die Sorgen ums Überleben, um Geld und Arbeit werden unwichtig. Man lässt einfach auf sich zukommen, was auch immer da kommen mag.
Und wie kann die Kamera diesen Zustand einfangen?
Indem ich nicht plane, indem ich einfach teilhabe an dem, was später im Film zu sehen ist. Ich denke nicht nach, das Filmen gehört zur Situation, niemand stört sich daran, die anderen wissen ja, was ich mache. Manchmal vergessen sie es sogar.
Aus welchem Zeitraum stammt das Material für "Sleepless Night Stories"?
Aus den letzten zwei, drei Jahren. Ich habe aber noch tausende Stunden von unbenutztem Material übrig.
Wie wählen Sie denn aus dieser Fülle aus?
Ich bin sehr offen für Zufälle. Kürzlich hat sich eine alte Freundin an mich gewandt, sie ist Kuratorin am Pariser Museum Jeu de Paume. Sie bat mich, etwas mit meinem Pariser Material anzufangen. Ich habe nämlich sehr viel in Paris gedreht, ich liebe die Stadt und habe viele Freunde dort. Und ich mache aus dem Footage jetzt einen zweistündigen Film und eine Installation mit vier Monitoren.
Könnten Sie sich "Sleepless Night Stories" als Installation vorstellen?
Als Installation wäre es ganz anders gewesen, anders strukturiert, mit mehr Episoden. Aber das ist mir nie in den Sinn gekommen. Der Film ist eine Einheit und soll als solche gezeigt werden. Bei einer Installation konzentriert man sich ja nie auf alles gleichzeitig, man schaut auf einen Bildschirm, jeder Betrachter macht seine eigene Montage.
Einige Leute in Ihrem Film sind berühmt …
… Ich wollte ihre Namen nicht am Anfang auflisten, sondern erst am Ende. Und ich wollte sie nicht als Berühmtheiten präsentieren, sondern als Menschen, die ihre Nöte und Leidenschaften haben wie jeder andere auch. Wenn man sie nicht erkennt, macht das nichts. Und wenn man sie doch erkennt … Nehmen Sie Marina Abramovic. Wenn Sie sie erkennen, wissen Sie, dass sie immer performt.
Sie erzählt, wie sie ihren Freund verlassen musste, weil er ihr vorwarf, sie sei zu viel für ihn, zu intensiv.
Ja, und sie ruft: "Ich kann einfach nicht weniger werden!" Louis Garrel erzählt auch eine Geschichte, diese Geschichten sind wirklich und unwirklich zugleich. Vom Realismus bewegen sie sich zum magischen Realismus, und da kommt "Tausendundeine Nacht" ins Spiel.
Was bedeutet Ihnen das Buch?
In meiner Arbeit gibt es zwei parallel verlaufende Kämpfe: Einmal geht es darum, das Leben so einzufangen, wie es ist, ohne den Bildern irgendetwas aufzuzwingen. Dann geht es aber doch auch darum, dem Ganzen eine weitere Dimension zu verleihen, wie es in den Geschichten aus "Tausendundeiner Nacht" geschieht, da stecken ja auch mehrere Dimensionen drin. Ein Beispiel wäre ein Film von Andy Warhol, Robert Indiana isst darin einen Pilz. Andy wollte sich vom Realismus wegbewegen, also hat er nicht 24 Bilder pro Sekunde projiziert, sondern 16. Das macht einen wichtigen Unterschied etwa darin,was das Licht des Projektors mit dem Filmkorn anstellt. Die Textur ist eine andere, die Bewegung auch.
Sie filmen auch intime, persönliche Augenblicke. Haben Sie Angst, zu weit zu gehen?
Ich bin weder Anaïs Nin noch Henry Miller. Bestimmte Aspekte des Lebens möchte ich nicht filmen, jeder hat so seine heiligen Plätze, Erinnerungen, Orte nur für sich selbst, und das möchte ich respektieren.
Gibt es einen Widerspruch zwischen Filmen und Leben?
Nein, da geht es mir wie Marina Abramovic. Es gibt keinen Widerspruch zwischen meiner Kunst und meinem Leben. Zu filmen ist mein Leben.
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