US-Autor Jonathan Franzen in Berlin: Gekommen, um Deutschland zu loben
Nach langer Pause war US-Autor Jonathan Franzen wieder in Berlin. Am Mittwoch las er aus seinem autobiografischem Buch "Unruhezone".
Die Lesung am Mittwoch beginnt wie ein Popkonzert: "Von New York nach Berlin" schmettert Michael Jeismann, und Jonathan Franzen stürmt glücklich los in Richtung Mikro. Aber da bremst der Goethe-Institut-Mitarbeiter den amerikanischen Autor: Nein, es ginge noch nicht los, er selbst müsse erst noch die üblichen Honneurs loswerden. Belustigt-beschämt macht Franzen eine spontane Kehrtwende, trabt zurück zum Sessel und setzt sich wieder. Dann wartet er, bis er denn nun endlich drankäme. Dabei scheint es, als halte er seinen Körper nur mit Mühe davon ab, vielleicht doch noch die Flucht zu ergreifen oder - ungeachtet der Grußformalitäten - das Rednerpult vorzeitig zu erobern.
Die energetische Vollbremsung muss der Moment gewesen sein, in dem das Publikum Franzen verfiel. Dieses Panikglück, mit dem er seinen ersten öffentlichen Auftritt in deutscher Sprache herbeisehnte, übertrug sich in die Temporäre Kunsthalle in Berlin. Schon rein thematisch hatte Franzen leichtes Spiel: Schließlich war er gekommen, um Deutschland zu loben und - eher ungewöhnlich für dieses Land - erotisch aufzuladen: "Sex, Literatur und die deutsche Sprache" war das Thema. Und Franzen schaffte es, selbst die zu überraschen, die ohnehin mit dem festen Vorsatz gekommen waren, ihn zu bewundern.
Von gebremster Leidenschaft handelte auch die Lesung aus Franzens zuletzt erschienenen, autobiografischem Buch "Unruhezone" (Rowohlt, 2007): Die von ihm selbst komplett unerwünschte Anziehungskraft von Elisabeth, einer 19-jährigen Österreicherin, die einen Sommer lang den 10-jährigen Franzen mit deutscher Sprache in Fraktur quälte, die verpassten amourösen Chancen auf eine Deutschlehrerin während seiner Studien in München sowie die Liebe zur deutschen Literatur, gegen die er sich am Anfang teils sehr gewehrt hatte. "Kafka war so verstörend, dass ich mein Denken ausgeschaltet hatte."
Zwischen den skizzenhaften Erzählungen, die er immer wieder mit spontanen Kommentaren unterbricht - "Material über Masturbation", oder auch: "I liked Faust" - greift sich Franzen amüsiert in die dunklen Locken und lacht über die eigene Erinnerung. Schon allein durch das Jonglieren mit der deutschen Sprache gewinnt Franzen eine spannende Distanz zu seinem Text. Manchmal wirkt es fast so, als unterhalte er sich mit seinem Buch. Wenn er schreibt, so sagt Franzen später, fühlt er sich oft armselig. Davon ist ihm jetzt nichts mehr anzumerken.
Die "Korrekturen" (Rowohlt 2002), Franzens bislang größter Erfolg, wurde von einem Kritiker als "großzügig" bezeichnet. Das ist auch eine treffende Bezeichnung für seinen Autor, Jonathan Franzen ist ein großzügiger Redner: Er gestikuliert ausufernd, beschenkt das Publikum mit einer Bandbreite an Mienenspiel und ist zugleich von einer so tief empfundenen Intelligenz, dass man sich wünscht, man könnte jeden Abend zu einem Vortrag von ihm gehen.
Jonathan Franzen wird ein paar Monate in Berlin bleiben. Aber ob er auch täglich dort auftreten wird, ist eher fraglich. Eigentlich ist er gekommen, um einen neuen Roman zu vollenden, Vögel zu beobachten und Freunde zu besuchen. Doch diese Lesung konnte er offenbar noch zwischenschieben. Immerhin liegt ihm das Thema am Herzen. "Durch die deutsche Literatur", erklärt Franzen später, "lernte ich, meine Familie als Menschen zu sehen und nicht als Verwandte. Weil ich selbst Mensch geworden bin, seit ich deutsche Literatur gelesen hatte."
Aaaahhhh, möchte man sagen. Wenn man das so liest, klingt es doch arg pathetisch. Aber wenn Jonathan Franzen vor einem steht, mit seinen tanzenden Armen und seinen lässigen, grünen Kordhosen, und wenn man hört, wie er sich in seinem wundervollen Deutsch durch die Worte "Fiesling" [Fea-zzl-ing], "Vorschullehrer" [Fohr-schuul-lérrer? Voar-schull-ehrér?] oder "alliterierende Dichotomien" tastet, dann klingt auch dieses abschließende Liebesgeständnis absolut überzeugend. Fast hat man das Gefühl, man sei selbst ein bisschen lebendiger geworden, weil man ihn an diesem Abend erlebt hat.
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