US-Armee räumt Kaserne in Rheinland-Pfalz: Lieber Ami, bitte bleib hier!
Erst Nazis, dann Franzosen und seit 60 Jahren die GIs. In der der Garnisonsstadt Baumholder geht ohne Militär gar nichts. Nun will die US-Armee abrücken.
BAUMHOLDER taz | Leise dringt das Wummern der Bässe durch die dicke Stahltür der Tabledancebar nach draußen. Ein Wagen der Military Police patrouilliert einsam durch das feine Schneetreiben. Drei bullige junge Männer lümmeln drinnen in den Polstern der schwarzen Ledersofas und beobachten das zarte Mädchen im Glitzerkleid, das sich im Scheinwerferlicht um die Metallstange windet.
Mehr Kundschaft ist an diesem späten Dienstagabend im Wildcats nicht zu erwarten. Aber dass es in der 4.000-Seelen-Gemeinde in Rheinland-Pfalz überhaupt eine Tabledancebar gibt, ist eine der Besonderheiten von Baumholder.
Die kleine Gemeinde nahe der saarländischen Grenze ist Garnisonsstadt, seit 1951 sind hier amerikanische Truppen stationiert. Vor ihnen waren es die Franzosen. Und davor die Nationalsozialisten. Bereits 1937 errichteten sie den Truppenübungsplatz, den heute Bundeswehr, Nato-Soldaten und die US-Armee gemeinsam nutzen. Zu Hochzeiten, in den 1960er Jahren, waren in der Kaserne an die 20.000 amerikanische Soldaten untergebracht.
Heute sind es noch knapp 5.000. Familienangehörige und Zivilbeschäftigte eingerechnet leben rund 13.000 US-AmerikanerInnen in Baumholder - mehr als dreimal so viele wie deutsche Einwohner am Ort. Doch die US-Regierung will sparen. Zwei der vier in Europa stationierten Kampfbrigaden der U.S. Army werden abgezogen. Eine davon ist die 170. US-Infanteriebrigade in Baumholder.
"Werden die Soldaten im Sommer wirklich abgezogen, wird uns das hart treffen", sagt der junge Mann in der grünen Trainingsjacke, der in der Tabledancebar die Geschäfte führt.
Größte Kneipendichte pro Einwohner
Sein Laden lebt mehr von den jungen, alleinstehenden Soldaten, die seinen Laden bevölkern, wenn sie nach einem Jahr aus dem Einsatz in Afghanistan zurückkehren. "Das meiste Gewerbe hier in Baumholder ist abhängig von den Soldaten." Es scheint so, als habe der kleine Ort seinen Selbstzweck darin gefunden, den Amerikanern zu gefallen.
Das hat Tradition. In den 60er Jahren fand man hier die größte Kneipendichte pro Einwohner in ganz Deutschland, sagt Ingrid Schwerdtner. Die 57-Jährige ist in Baumholder geboren und aufgewachsen. "Jeder Bauer hat damals seinen Pflug weggeworfen und in der Scheune eine Kneipe eröffnet", erinnert sie sich.
Wochenends kamen die Fräuleins aus Frankfurt, auf der Suche nach dem schnellen Geld und einem amerikanischen GI. Zwar wetterten die Kirchen gegen den Sittenverfall in der kleinen Gemeinde, doch die Baumholderer profitierten und nahmen es mit den Moralvorstellungen nicht so genau.
Außerdem waren die Baumholderer wohl auch stolz auf den "American Way of Life", der die Stadt prägte: "Wir hatten als Teenager schon vieles, was es anderswo nicht so gab", sagt Schwertner, "Jazzmusik und Platten zum Beispiel, Livekonzerte von Louis Armstrong und Ella Fitzgerald und schwarze Soldaten natürlich."
Logistikeinheit statt Kampfbrigade
Heute freilich, da die U.S. Army längst eine Berufsarmee geworden ist, hat sich der Trubel gelegt. Nach wie vor gibt es ungewöhnlich viele Kneipen und Restaurants in Baumholder, dazu Tattoo-, Piercing- und American-Nail-Studios. McDonald's, Burger King und Subway haben jeweils gleich zwei Filialen, fast überall kann man mit Dollar bezahlen. Das US-Militär ist mit Abstand der größte Arbeitgeber am Ort.
"Amerikanische Kasernen sind ganz anders als deutsche", erklärt Bürgermeister Peter Lang (SPD) anderntags im Rathaus. Eine US-Kaserne, das sei Klein-Amerika, mit amerikanischen Kirchen, Autohändlern, Kinos, Bowlingbahnen, Schulen und Kindergärten und einem Post Exchange Shop, in dem die Soldaten steuerfrei all das einkaufen können, was es auch in den USA gibt.
"Wer von Mississippi nach Baumholder versetzt wird, kann hier alles so wie daheim erledigen", sagt Lang stolz. "Die deutschen Arbeitnehmer sorgen dafür, dass dieses Little America hier funktioniert." Dem angekündigten Truppenabzug sieht der 51-Jährige trotzdem gelassen entgegen.
Er hofft, dass die abgezogene Kampfbrigade in Baumholder durch eine Logistikeinheit ersetzt wird. Dann wären zwar vermutlich weniger US-Soldaten hier stationiert. Doch die neuen Einheiten hätten höhere Dienstgrade - und damit auch mehr Geld zum Ausgeben.
Mangelhafte Bemühungen um Alternativen
Überraschend kommt der geplante Truppenabzug für Peter Lang nicht. "2004 war Baumholder so gut wie tot", sagt Lang, der selbst 28 Jahre Berufssoldat bei der Bundeswehr war, bevor er im gleichen Jahr zum Bürgermeister der Verbandsgemeinde gewählt wurde.
Bereits Präsident Georg W. Bush plante, die in Europa stationierten Truppen zu reduzieren. Die Landesregierung von Rheinland-Pfalz habe sich massiv für den Erhalt des Standorts eingesetzt, sagt Lang - mit Erfolg. "Aber seitdem schwebt im Raum, dass es 2013 eine Veränderung geben könnte."
Gerade deswegen versteht Annette Rech nicht, warum sich die Gemeinde nicht stärker um Alternativen bemüht. "Die Politik tut viel zu wenig, um andere Leute nach Baumholder zu holen", klagt die Wirtin mit dem dunklen kurzen Haar, die seit 30 Jahren das Hotel Zum Stern betreibt.
Das kleine holzgetäfelte Restaurant im Souterrain des Hauses liegt nur wenige Meter vom Eingangstor der Smith Barracks entfernt. Vom Fenster aus kann man die "Welcome back"-Banner lesen, die die amerikanischen Familien für ihre eben erst aus dem Afghanistaneinsatz zurückgekehrten Angehörigen am Kasernenzaun befestigt haben.
Chickenschnitzel with pineaple and cheese
Vor allem mittags kommen viele Kasernenbewohner auf ein "Breaded Porkschnitzel ,Gipsy Stile'" oder ein "Chickenschnitzel with pineaple and cheese overbaked" vorbei. Doch sie habe auch andere Gäste, Wandertouristen und Ausflügler, betont die Wirtin. Für Baumholder hat sie Ideen: "Die Gemeinde könnte zum Beispiel Steuererleichterungen beim Hausbau anbieten", zählt sie auf, "Restaurantgutscheine oder ein kostenloses Kindergartenjahr für junge Familien."
Auch Sam McAdoo ist verwundert, wie sehr sich die Menschen in Baumholder auf die Anwesenheit der Amerikaner verlassen. Er ist Befehlshaber der United States Army Garnison Baumholder, wie der Stützpunkt offiziell heißt, und bewohnt seit knapp zwei Jahren mit seiner deutschen Frau Susanne, drei Kindern und zwei Hunden einen schmucken weißen Bungalow in der Forrest Street auf dem Gelände.
Vor dem Haus baumelt ein alter Autoreifen von einer Pinie. Drinnen serviert Susanne McAdoo Kaffee in großen Starbucks-Tassen und Erdnussbutterkekse, die sei bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung der Pfadfinderinnen erstanden hat. Sie stammt aus dem oberfränkischen Forchheim. Kennengelernt haben sich die beiden jedoch in Texas
Auch Sam McAdoos Mutter war Deutsche, die mit einem amerikanischen Soldaten in die Staaten gegangen war. "Man muss realistisch sein", sagt der groß gewachsene, schlanke Mann. Außer der US-Armee gebe es in Baumholder nichts.
Hoffnung auf sentimenale Touristen
Keine Industrie, kaum Landwirtschaft, selbst die Diamant- und Edelsteinverarbeitung, für die das nahe Idar-Oberstein einmal berühmt war, ist seit Jahren im Niedergang begriffen. "Ich kenne keinen zweiten Ort in Deutschland, an dem ein vollständiger Truppenabzug größere Auswirkungen hätte."
Die McAdoos sind bereits zum zweiten Mal in Deutschland stationiert. Von 1997 bis 2002 lebten sie in Worms. "Dort waren wir nicht so willkommen wie hier", sagt Susanne McAdoo. Ihr Mann ergänzt: "Baumholder ist in dieser Hinsicht etwas Besonderes: Durch die lange Geschichte, die wir an diesem Ort teilen, ist man als Amerikaner sofort integriert."
Keine schiefen Blicke, kein böses Wort, kein Rassismus gegenüber farbigen Soldaten. Baumholder schätze die US-Truppen viel mehr als andere Orte, sagen die McAdoos unisono - eben weil es wirtschaftlich so abhängig ist.
Die Gemeinde indes will auch in Zukunft auf die Amerikaner setzen. Wenn sie nicht mehr als Soldaten nach Baumholder kommen, dann eben als sentimentale Touristen, die ihren Familien den Ort zeigen wollen, an dem sie einst stationiert gewesen sind.
Petticoats und Nylonstrümpfe
Bis 2014 soll das ehemalige Hotel Goldener Engel zu einem Museum umgebaut werden, das die Geschichte der Garnison und die Auswirkungen des American Way of Life auf Baumholder zeigen soll. Ohne die Amerikaner wäre Baumholder heute nicht so, wie es ist, sagt Bürgermeister Lang: "extrem offen und international".
Ein kleines nachgebautes amerikanisches Kino wird es darin geben, eine Bar und eine Jukebox, dazu Petticoats, alte amerikanische Zigaretten und Nylonstrümpfe. "In der gesamten Region sind 50.000 Amerikaner stationiert", rechnet Lang vor. Im nahen Ramstein, in Kaiserslautern und in Landstuhl. "Wenn man die hierher bringen kann, wäre das schon gut."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen