URAUFFÜHRUNG: Klänge des Klimawandels
Zur globalen Erderwärmung hat nun auch der Hamburger Komponist Jörn Arnecke eine Oper beigetragen: Sie wird in Bremen gezeigt, heißt "Kryos", also Frost - und ihr Libretto ist eine Zumutung.
Oper ist seit jeher das Format für die ganz dicken Katastrophen, ihre Geschichte hangelt sich entlang am historischen Verlauf der Ängste. Die Apokalypse des Tages ist der Klimawandel - und schwupps!, findet der sich auf der Operbühne wieder. Auch Kryos, vom Hamburger Komponisten Jörn Arnecke geschrieben und in Bremen uraufgeführt, greift das Thema auf.
Sie tuts aber, anders als die Vorgängerinnen, des Schlagworts halber: Das Künstler-Kollektiv "New Guide to Opera" übernahm 06 für Das Ende des Golfstroms eine Simulation der Klimaforschung, der in Alaska lebende Stefan Hakenberg vertonte 07 in The Egg-Musher ein Klondike-einst-und-im Jahr 2050-Szenario. Bei Arnecke ist der titelgebende Spielort die fiktive Insel Kryos.
Kryos heißt auf Griechisch Frost, schließlich gehts um Erderwärmung. Und Hannah Dübgen hat als Libretto eine strikt konventionelle Anti-Utopie konstruiert, deren Dialektik von Einzelnem und Masse so unspezifisch bleibt wie sprachlich plump: "Gestatten, mein Name ist Nono", stellt sich eine Hauptfigur zu Beginn vor - herrjeh!, das wäre selbst dann schwach, wenns im Rahmen der Fiktion denkbarer wäre.
Ist es aber nicht. Begegnet ist Nono "der Fremde": Der war vorm Klimakollaps eingefroren, und ist jetzt, im 23. Jahrhundert aufgetaut. Nono ist der "Chefadministrator" einer komplett kollektivistischen Gesellschaft, des letzten Menschenhäufleins der verwüsteten Globus. Die Lebensläufe ihrer Mitglieder hat sie streng in Funktion der Gemeinschaft vorherbestimmt. Sie richten sich aus an ihrem Kult - dem Spektralklang-Ritual. Wer sich eine solche Kommunität ernsthaft ausmalt, weiß: Floskeln zur höflichen Begrüßung eines Boten der Außenwelt, die es für sie nicht gibt, fehlen ihr.
Lässlich wär das, wenn es vor logischen Brüchen nicht so wimmeln würde. Und die Zumutung des Librettos wird nur umso schmerzhafter, weil sonst fast alles passt, in Bremen: Zwar nervt Uwe Kramer, der den Fremden als Schrei-Rolle auffasst. Das Kollektiv aber hat Regisseur Philipp Himmelmann schlau in Raimund Bauers Eiskristall-Licht-Bühne hinein choreografiert: Es liegt und hockt - und regt sich manchmal wie ein Seerosenhain in sanften Wellen. Spannungsvoll spielen die Philharmoniker. Dabei ist Arneckes Musik für Instrumentalisten kaum eine luststeigernde Herausforderung: Ihr Zentrum ist das Spektralklang-Ritual. Musique spéctrale ist eine in den 70er-Jahren zumal in Frankreich verbreitete Kompositionsweise, ausgehend von der Spektralanalyse des Einzeltons: Es entstehen Soundscapes. Die klirrende Klänge von Arneckes Frostlandschaft, das gewaltige Crescendo des Spektralklang-Rituals vom Dämmern bis zum Gleißen, das sind Strukturen und Bilder, die sich, Riesen-Vorteil, auch ungeübten Ohren leicht erschließen: Niemand braucht Angst zu haben vor der Gegenwartsoper. Bloß Sinn und eine Zukunft hat sie nur, wenn sie die Ängste ernst nimmt, die sie aufgreift. Als ihr angestammtes Thema.
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