UNVERBREMT VON HENNING BLEYL : Lesen statt Läuten
Das ist produktives Traditionsbewusstsein: Der gute alte Schünemann-Verlag druckt in seinem kürzlich reanimierten Buchprogramm Joachim Neanders „Bundes-Lieder“ – im Faksimile. Das einzige bekannte Exemplar des Erstdrucks von 1680 lagert in der hiesigen Staats- und Universitätsbibliothek, die es 1953 für ganze fünf Mark erwarb.
Der bis zum letzten Fett- und Feuchtefleck sorgfältig erstellte Nachdruck bereitet bibliophiles Vergnügen – und ist ein bremensischer Volltreffer: Neander, ein Orpheus des Pietismus, starb in Bremen, wurde hier geboren und glaubensmäßig „erweckt“. Werke wie „Lobet den Herren“ prägen noch immer das evangelische Gesangbuch. Ob ihm allerdings das ständige Läuten seiner Lieder vom St. Martini-Turm gefiele, ist zweifelhaft: Neander hatte die „einfältigen Danck-Psalmen“ ausdrücklich für den intimen Gebrauch gedacht – „zu lesen und zu singen auf Reisen, zu Hauß oder bey Christen Ergetzungen im Grünen.“
Neanders Hang zur Kontemplation im Freien machte sich bezahlt: Gerade rechtzeitig vor dem Knochenfund wurde er zum Namenspatron des Düsseltals. Insofern kann man froh sein, dass des Dichters Großvater seinen Namen humanistisch hip in Neander gräzisiert hatte – andernfalls müssten wir einen Neumanntaler zu unseren Verwandten zählen.
Zurück zum Buch: Neander starb bei dessen Erstdruck, nach einem aufreibenden Jahr als Hilfsprediger von St. Martini – als solcher vor allem für Frühgottesdienste zuständig. Auch das spricht gegen das Läuten.