UNTERM ROSENTHALER PLATZ : Die Jugend von heute
Ich setze mich zu dem Mädchen und dem Jungen auf die Holzbank im U-Bahnhof Rosenthaler Platz. Ihre Stimmen brechen die U-Bahnhof-Stille, die sich sonst in den Abständen zwischen durchfahrenden Zügen ungestört ausbreiten könnte. Sie reihen in typischem Jugendslang einen Ausruf an den anderen. Banalitäten gespickt mit „Alter“ – „Ey“ – „voll“. Man kennt das ja.
Dazu dröhnt aus dem Handy einer dieser 0815-MTV-Raps, deren Videos voll sind mit omnipotenten Gangsterverschnitten, die immer von mindestens zehn leicht bekleideten, arschwackelnden Schönheiten umtanzt werden. Soll uns wohl zeigen: So viele Ladys können die Typen mindestens beglücken. Warum muss die Jugend so wahnsinnig schlechte Musik hören? Von den Geschlechterbildern ganz zu schweigen.
Ich packe mein Buch aus, beginne zu lesen, werde aber nach und nach in ihr Gespräch gezogen. Keine Konzentration mehr möglich, ihre Stimmen sind allzu aufdringlich. Plötzlich sie: „Was nimmst du denn da für Pillen, ey?“ Ich blicke auf und sehe über ihre Schulter, dass er ein Röhrchen aus der Jackentasche gezogen hat und daraus eine Pille schluckt. Er: „Na, Pillen halt.“ Sie: „Ja, aber was denn für welche?“ Er, leicht genervt: „Na, die halt, wegen des Magens, du weißt schon, die halt.“ Sie: „Immer nimmste diese Pillen, stopfst dich voll mit dieser Chemie, ich versteh das nicht, ey.“ Er, schon recht defensiv: „Ja, aber ist halt für meinen Magen.“ Sie: „Immer nimmst du Pillen. Du hast doch nichts mehr. Schon länger nicht mehr. Und wenn du was hast, ey, dann zeigt dir dein Körper halt, dass da was nicht richtig läuft, dann musste darauf auch hören – kannste ja gleich Pillen frühstücken.“ Er sagt gar nichts mehr. Die Welt ist manchmal so bestechend einfach, dem hat er nichts entgegenzusetzen. Ich klappe mein Buch zu und stehe auf. Geht doch, Jugend, zumindest manchmal. EVA VÖLPEL