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Archiv-Artikel

UNTER ERDOGAN WIRD DIE TÜRKEI DIE USA BEIM IRAKKRIEG UNTERSTÜTZEN Kollateralschaden Modernisierung

Mit der Wahl ins Parlament ist Recep Tayyip Erdogan, der charismatische Vorsitzende der moderaten islamischen AK-Partei, nun kurz vor dem Ziel seines Lebens. Wenn nicht noch etwas Unvorhergesehenes passiert, wird er noch vor Ende der Woche Ministerpräsident der Türkei. Damit käme nach Necmettin Erbakan, dem traditionellen Islamisten, zum zweiten Mal ein Mann an die Spitze der Exekutive, den das Establishment der Türkei ablehnt. Erdogan repräsentiert den Teil der türkischen Gesellschaft, den die kemalistischen Reformen nie wirklich erreicht haben, der nach wie vor die Moderne ablehnt und privat islamisch-paternalistisch denkt.

Doch anders als Erbakan vor sechs Jahren hat Erdogan nun die Aussöhnung seiner Wähler mit dem Staat zum Programm erhoben. Das kann, wenn es gut geht, zu einem historischen Kompromiss führen, der in dieser Weise zwischen einer westlich orientierten Staatsform und einer muslimischen Gesellschaft einmalig wäre. Das Pech von Recep Tayyip Erdogan ist, dass er ausgerechnet zu einem Zeitpunkt Ministerpräsident wird, zu dem er Entscheidungen treffen muss, die mit seinem Projekt eigentlich nichts zu tun haben, ihn aber dennoch Kopf und Kragen kosten können.

Die AKP hat lange versucht, die Entscheidung über eine Beteiligung am Krieg oder eine möglichst weit gehende Verweigerung den Militärs zuzuschieben. Doch Erdogan hat erkannt, dass er, will er zukünftig noch ernst genommen werden, nun auch selbst führen muss. Er hat sich gegen seine Partei und die überwiegende Volksmeinung gestellt, weil er glaubt, dass die Türkei keine andere Wahl hat, als mit den USA zusammenzuarbeiten. Das könnte zu einem tragischen Ergebnis führen. Ausgerechnet der Held der Massen übernimmt aus Gründen der Staatsräson das Geschäft der Militärs und zwingt die Türkei in einen Krieg, den fast niemand will. Zwar wird das Parlament Erdogan zunächst folgen, doch am Ende, wenn es schlecht läuft, könnte der Krieg ihn politisch den Kopf kosten. Sein Projekt einer Annäherung der Frommen an die Moderne wäre einer der weit reichenden Kollateralschäden eines Angriffs auf Saddam Hussein. JÜRGEN GOTTSCHLICH