UNTER DER UNION WIRD DAS HOHE STAATSDEFIZIT STÄRKER WACHSEN : Liberaler Staats-Striptease
Wenn es um’s Geld geht, ist die Union sehr keck. Wie schon immer wirtschafte die SPD den Staat auch jetzt wieder in Grund und Boden, lautet der Vorwurf. Ein für die Christdemokraten leicht gewonnenes Scharmützel: Das Defizit in den staatlichen Haushalten ist zwar etwas kleiner geworden, doch mit 3,6 Prozent der gesamten deutschen Wirtschaftsleistung dürfte es sich am Jahresende auf rund 80 Milliarden Euro summieren. Allein: Wenn die Union ihre geplante Sozial- und Steuerreform umsetzt, wird das Loch noch viel größer.
Egal, was Angela Merkels Schatten-Finanzminister Paul Kirchhof auch immer vorrechnet – vermutlich wird es ihm nicht gelingen, die von allen Lobbys dieses Landes in 50 Jahren erkämpften Subventionen so schnell abzuschaffen, wie er die Steuern zu senken verspricht. Als liberaler Finanzpolitiker, der er ist, betreibt Kirchhof den Staats-Striptease. Hinzu kommt, dass Kanzlerkandidatin Merkel ihre Kopfpauschale in der Sozialversicherung einführen will. Auch die kostet Milliarden Euro, weil Ausgleichszahlungen an Geringverdiener fällig werden. So macht die Union weiter, was Rot-Grün vorgelebt hat – kostspielige Reformen anpacken und trotzdem die Steuern senken. Dass dies mit der Sanierung der Staatsfinanzen einhergeht, mag glauben, wer will.
Zwar ist es nicht ratsam, wegen der öffentlichen Verschuldung in Panik zu verfallen. In Zeiten schwachen Wachstums und privaten Angstsparens muss der Staat sich beleihen, um die Nachfrage in Gang zu halten. Aber zwei Fragen seien erlaubt: Dient die Kreditaufnahme zukunftsträchtigen Investitionen oder vornehmlich den Konten der Wohlhabenden? Und wie sieht die langfristige Perspektive aus?
Hier ist Sorge erwünscht: Der deutsche Staat ist mit rund 1,4 Billionen Euro verschuldet. Das ist der Wert von etwa zwei Drittel aller Güter, die hierzulande in einem Jahr hergestellt werden. 40 Milliarden Euro Zinszahlungen alleine aus dem Bundeshaushalt machen es schwierig, Geld für vernünftige Dinge aufzubringen. Keine der Parteien, die im neuen Bundestag sitzen werden, nimmt diese Frage wirklich ernst – auch nicht die Union.
HANNES KOCH