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UNSER TÄGLICH BROT

■ Ein Sommer in den Katakomben des KaDeWe

Es war der Sommer, den ich fast nicht überlebt habe. Der Gesundheitspaß zunächst war kein Problem, man löffelt die Kacke ab und bringt sie zum Amt. Für 15 Mark drauf gibt es dann diesen Ausweis. Sie wollten mich auch gleich haben in der Lebensmittelabteilung vom KaDeWe. Sogar mein persönlicher Wunsch wurde berücksichtigt, denn mit toten Fischen wollte ich nicht gern hantieren. Also Brötchen, französische Ware.

Der Empfang ist sehr freundlich. Mehrere Aushilfsanfängerinnen werden gesammelt und durch die Katakomben begleitet. Es gibt schließlich Kittel, braunweiß -gestreift. Unten herum ist alles egal, ich trug schlampige Jeans und Turnschuhe. Auch in der Brötchenabteilung wurde ich selbstverständlich aufmerksam begrüßt, mir wurde gezeigt, was die jeweiligen Sachen kosten, wo es steht. Nur die Brötchen sind preislich nicht beschildert und differieren um einen bis 20 Pfennige bei 15 Sorten. So wurde mir geraten, eine Liste zu schreiben. Gleichzeitig jedoch sollte ich schon bedienen und es blieb nichts, als bei jedem einzelnen Kunden die Kolleginnen zu fragen. Tolle Typen! Ich war ganz begeistert von diesem Ur-Berliner-Schwung, dieser wasserstoffsuperoxydgefärbten Sechzigjährigen, so viel Herz mit Schnauze. „Die Kleine war ja noch gar nicht in der Pause“, sagte sie und kümmerte sich den ganzen Tag um mich. Erzählte, wie sie nach ihren ersten Tagen schlicht nicht glaubte, daß sie das überstehen würde, vor 20 oder 30 Jahren.

Einige Tage darauf bekam ich mein Namensschild. Dann auch wurde mir richtige Kleidung gegeben, eine rosa-weiß karierte Schürze mit Volants und ein enger, weißer Rock, den ich allerdings mit großen Sicherheitsnadeln zusammenhalten mußte, er war eben nicht eng genug. Bei jedem Umdrehen fürchtete ich, daß man das sehen könne. Ich mußte meiner Kontoführerin bei der Sparkasse noch das Gewissen erweichen, mich 90 Mark für Gesundheitssandalen abheben zu lassen. Schließlich aber fand ich die umklöppelten Unterröcke meiner Großtanten, die ich früher nur zum Fasching getragen hatte und meine alte Puffärmelbluse aus der Handarbeits-AG, die mir eigentlich doch gut steht. Bis dahin war allerdings das Fernsehen schon da gewesen, und ich hatte meinen Auftritt in braunweiß-gestreift gehabt. Die Männer konnten sich beim Filmen problemlos durchsetzen, ich stand ja da, und so habe ich als einzige die Abteilung repräsentiert, mit klassischem Baguette-Verkauf: DM 2,80.

Das Wetter spielte fast keine Rolle. War es draußen heiß, konnte es auch drinnen anfangs drückend sein, im Tagesverlauf jedoch beurteilten wir die Temperatur nur noch nach der Kleidung der Kunden. Bei schlechtem Wetter war man drinnen ebensogut aufgehoben.

Vielleicht ist das KaDeWe wirklich das Herz der Stadt, wo sich alle Ereignisse direkt niederschlagen. Findet ein Fußballspiel statt, verstopfen die Fans alle Gänge und verlangen immer dieselbe Brötchensorte. Vor Pfingsten reißt die dreißig-menschige Schlange nie ab, die Arme fliegen nur noch zum Baguette-Ständer, rechts die Türe, links das Brot, 4,50 oder 2,80 im Kopf summiert. Bezahlt jemand mit „Goldener Kundenkarte“, ist es ein Zeitaufwand, bei dem zwei oder drei Leute hätten bedient sein können.

Ich hatte den Ehrgeiz, jedem Kunden einen direkten Blick ins Gesicht zu werfen. Auch British-Airways-Stewardessen kamen nicht unerkannt davon. Viele Leute verstehen ja so etwas nicht, den Omas aber fiel es auf. Sie konnten sich bei mir, so zittrig oder auch nölig wie sie wollten, ihre Sesam -Mohn-Knuspereien zum Frühstück austüffteln, ich wurde nie ungeduldig. Ist es doch ihr Tagesauftakt, die Struktur, die dieser minimale Luxus von überteuerten Brötchen dem Nichtstun gibt. Um Viertel vor neun sammelt sich die Traube der Siebzigjährigen vor den Eingangstüren am Wittenbergplatz, stürzt nach der entscheidenden Geste des Pförtners in den Fahrstuhl, und manchmal ist dann noch gar nicht alles geliefert, eine halbe Stunde später vielleicht aber schon ausverkauft! Eine Oma wird wild, rammelt sich mit ihrem Einkaufswagen vor und boxt sich in der Schlange an Ort und Stelle zurecht. Aufruhr! Wir frommen Lämmer hinter der Theke haben damit aber nichts zu tun, doch es bleibt ein schönes psychologisches Thema für die anderen Kunden. Gegen eine andere alte Frau werde ich von den Kolleginnen in Schutz genommen, sie würde es bei jeder Neuen versuchen, zwei Schrippen mit hundert Mark bezahlen und dann zurückkommen, das Wechselgeld stimme nicht... Meine Mühe, das menschlich wache Auge zu bewahren, wird schließlich doch belohnt, ich werde mit Freuden wiedererkannt!

Überhaupt gibt es dort auch viel intellektuelles Volk, das sich zum Wochenende mit dem Feinsten vom Feinen eindeckt, und für das Savoir Vivre im Kaufhaus Demut übt. Doch ich bin keine selbstverständliche Herrscherin über Kuchen und Brote. Weiß wohl, was woraus gemacht war, aber „ein Begriff“ ist es mir noch lange nicht. „Das Ding da“ aus meinem Munde irritiert leider eine vorfreudige Alternativ-Studentin über ihr süßes, liebes Mischbrot (Jetzt geht mir dieser Text aber langsam gewaltig auf die Nerven. Ich wäre dafür, dir den Brötchen -Orden „Berlinerin mit Herz“ zu verleihen; mit einer solchen Auszeichnung könntest du vielleicht in die Feinkost-Abteilung versetzt werden - uns ersparte das fürderhin deine Texte, d. s.in und Leserin).

Um Viertel vor neun beginnt der Tag. Das abgezählte Wechselgeld wird nochmals durchgefingert. „Frau Schwarzmehl ist eine perfekte Frau, aber rechnen kann sie nicht“, fährt der Hohn aus einer zweiten Seele, die dort täglich arbeitet, der die Bewegungen wie bei einer aufgezogenen Drahtmamsell nur so aus dem Leib platzen. „Sie hat eine wunderschöne Wohnung“, heißt es über diese, „und ist geschieden“. Sonst spricht man vom Urlaub, wie das Wetter war, wie lange noch bis dahin und wohin es diesmal geht.

Zweimal am Tag ist Pause. Dazu wird man grüppchenweise eingeteilt. Nach der Mittagspause ist das Arbeiten manchmal so gut wie unmöglich. Aber es geht doch („und wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo...“ d. s.in). Die ersten vier Stunden waren ein körperlicher Schwung, den ich an mir toll fand, die anderen vier holte ich aus den Knochen. Oft auch legte ich mich in der Pause in einen der Ruheräume, in denen, für Frauen und Männer getrennt, versteht sich, verstellbare Liegestühle mit Wolldecken warten. Die vierzig- bis sechzigjährigen Frauen liegen dort, als seien sie Steine. Dann kommt ein unweigerlicher Uhrzeiger und der Fahrstuhl fährt doch zu langsam oder die Etage ist von Touristen völlig blockiert. Geht es einem wirklich schlecht, kann man sich zur Krankenschwester retten, sie versteht den Wahnsinn dieser Knochenmarksauspressung und stellt eine Beurlaubung aus. Bauchschmerzen oder andere Unregelmäßigkeiten der Regel sollten Frauen niemals haben, drei Minuten zu lang in der Pause und die Hölle ist los. Dann kann die nächste nicht gehen, und die übernächste kommt gar nicht mehr dran. Ich hätte mich an diesem einen Tag auch beurlauben lassen können, aber drei Frauen hätten den Stand alleine nie geschafft, und nur zu Weihnachten werden noch drei weitere eingestellt. „Alles hat einmal ein Ende, nur die Wurst hat zwei...“ singt ein Goldstück. Sie fährt morgen in Urlaub.

Eine andere Frau erzählt mir, daß ihre Eltern sie gezwungen haben, Konditorsgehilfin zu werden, wie sie da mit sechzehn geschrien hat und nicht mehr hin wollte und doch immer Sportlehrerin werden wollte. Heute noch treibe sie Leistungssport, und naja, nur drei Mal in der Woche KaDeWe. Die Abteilungsleiterin lerne ich erst später kennen. Ihr Vertreter ist ein entzückend feminines und sanftes Wesen und so finde ich erst nach einer Weile heraus, ob es etwas macht, zwei oder zehn Minuten zu spät zu kommen. Bis man die unterirdischen Gänge der geheimen internen Betriebsamkeit durchlaufen hat und an den duftenden, zeithabenden Pastellgemälden in der Kosmetikabteilung vorbeigehuscht ist (was bitte, tut's da? Duften? Achduliebergott, d. s.in), dauert es doch sehr lange. Aber die Frau, auf die es ankommt, schreibt die Minuten haarscharf auf. Als lebendige Schwarzwaldpuppe, füllig, bauschig und adrett, ist sie auch in der Hektik freundlich und unterschreibt alle privaten Kaufbons. So nämlich können sich die Angestellten verbilligt etwas mit nach Hause nehmen. Was ansonsten mit den Resten geschieht? „Daran darf man überhaupt nicht denken“, sagt eine. Eine andere beruhigt mich, alles würde weiterverwendet, z.B. zu Semmelmehl gemacht. Genug für die ganze Welt.

Sophia Ferdinand

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