■ UNO-DIPLOMATEN FEILSCHEN UM STANDORT EINER NEUEN GROSSBEHÖRDE: Billigste Friseure in Wien
Billigste Friseure in Wien
Genf (taz) — Was kostet ein Haarschnitt in Genf? Wie streng ist die Wiener Verkehrspolizei mit diplomatischen Parksündern? Kann man in Den Haag zollfrei einkaufen? Mit derartigen, für den Fortgang der Weltgeschichte relevanten Fragen beschäftigen sich seit Wochen zahlreiche hochkarätige Diplomaten im Genfer „Palast der Nationen“. Hinter verschlossenen Türen feilschen die 39 Mitgliedsstaaten der UNO- Abrüstungskonferenz trickreich und verbissen um den Standort für eine neue Großbehörde mit immerhin mindestens 1.000 Beschäftigten und einem geplanten Jahresbudget von 216 Millionen Franken, die 1994 ihre Arbeit aufnehmen soll: die Überwachung der Einhaltung des Chemiewaffenverbots-Abkommens, dessen Fertigstellung in Genf für spätestens Ende 1992 erwartet wird. Bis heute abend soll nach Vorstellung des deutschen Botschafters Ritter von Wagner, in diesem Jahr Vorsitzender der UNO-Abrüstungskonferenz, die Entscheidung über den Standort endlich gefallen sein.
Auf Anfragen nach den Kriterien für die Entscheidung wurde in den letzten Wochen in Genf vor allem auf „die besten Arbeitsbedingungen“ für die C-Waffen-Kontrollbehörde verwiesen: wo gibt es ausreichende Gebäude und Konferenzräume sowie gute Laboratorien zur Untersuchung chemischer Substanzen? Haben möglichst viele Staaten bereits eine diplomatische Vertretung in der Stadt? Wie gut ist die Anbindung an den internationalen Flugverkehr?
Bei den Hearings, denen sich VertreterInnen der drei Bewerberstädte stellen mußten, spielten jedoch vor allem die Lebensbedingungen für die Diplomaten die Hauptrolle. Mietpreise für Diplomatenwohnungen, Schulkosten für Diplomatenkinder u.ä. sind natürlich von Relevanz für die Bezahlung der 1.000 MitarbeiterInnen und damit für das Budget der UNO, die die neue Einrichtung unterhalten muß. Doch bei den Hearings wurden vor allem Fragen gestellt wie die anfangs zitierten nach Haarschnittkosten, zollfreien Einkaufsmöglichkeiten und Toleranz der Verkehrspolizei, nach Eintrittspreisen für Kino, Nachtbars und Konzerten oder die Mitgliedschaftsbedingungen in Tennis- und anderen Freizeitclubs. Wie häufig streikten in den letzten zehn Jahren die Bediensteten des öffentlichen Nahverkehrs und der Müllabfuhr? Diese und ähnliche Themen beherrschen auch die vertrauliche Liste von 96 Fragen, die die drei Städte schriftlich beantworten mußten. In den Antworten finden sich so manche Übertreibungen. So schreiben die Genfer Stadtväter etwa, der Flughafen sei nur so weit vom UNO-Palast entfernt „wie eine Fliege von einer Kuh zur anderen fliegen muß“. Tatsächlich sind es knapp sieben Kilometer.
Genf zog Anfang dieser Woche seine Bewerbung als Standort der neuen Großbehörde zurück. Offizielle Begründung: Aus den bisherigen Konsultationen habe man den Eindruck gewonnen, Den Haag und Wien hätten die besseren Chancen. Nach der Geschäftsordnung der UNO-Abrüstungskonferenz müssen alle Entscheidungen im Konsens getroffen werden. Das geht im vorliegenden Fall nur, wenn heute einer der beiden verbleibenden Bewerber zurückzieht. Einige wesentliche Erkenntnisse hat das wochenlange Schachern aber doch erbracht: Die Friseure sind am billigsten in Wien, zollfrei läßt sich am günstigsten in Den Haag einkaufen, und die Genfer Verkehrspolizei drückt bei Sündern mit dem blauen CD-Schild am ehesten beide Augen zu. Andreas Zumach
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