piwik no script img

UKRAINE Es ist alt und liegt nahe am Kriegsgebiet. Dennoch halten die Mitarbeiter das Atomkraftwerk Sarporoschje für sicherDer Stolz der Region

Blick über Prypjat: Eine junge Frau schaut von höchsten Gebäude des Orts auf die verstrahlte und verlassene Stadt bei Tschernobyl Fotos: Niels Ackermann/Polaris/laif

AUS ENERGODAR Bernhard Clasen

Sehen Sie mich an“, sagt Wladimir Iwanow. „Ich bin kerngesund, meine drei Kinder sind gesund.“ Von erhöhter Radioaktivität keine Spur. Er kenne seine Reaktoren. Diese seien erdbebensicher, gegen Flugzeugabstürze geschützt. Und als es um die Laufzeitverlängerung ging, habe man praktisch alles im Innern dieser Reaktoren erneuert.

Wladimir Iwanow ist der stellvertretende Leiter des Atomkraftwerks Saporoschje und verantwortlich für alle Maßnahmen, die eine Laufzeitverlängerung der Reaktoren betreffen. Er steht ganz oben in der Hierarchie von Europas größter Atomanlage. Sie befindet sich in Energodar, eine Stadt mit 50.000 Einwohner, die für den Bau des Kohlekraftwerks 1970 gegründet wurde. Die Großstadt Saporoschje ist 120 Kilometer entfernt. Demnächst soll die Laufzeit von zwei der sechs Blöcke, die zunächst auf eine Betriebszeit von 30 Jahren ausgelegt war, um zehn Jahre verlängert werden. Wladimir Iwanow ist Optimist. Er glaubt, dass das nicht die letzte Laufzeitverlängerung bleiben wird.

„Meine Tochter hat mich vor ein paar Tagen bei der Arbeit besucht. Und heute Morgen hat sie mir mitgeteilt, dass sie ebenfalls in meinem Kraftwerk arbeiten will“, sagt der Vater von drei Kindern und freut sich. Jeder dritte Einwohner der Stadt ist in dem Atomkraftwerk tätig.

Mit Beginn der Kämpfe im ost­ukrainischen Donbass, etwa 250 Kilometer vom Kraftwerk entfernt, wurden die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt. Jetzt gibt es nur noch eine Einfahrt in diese Stadt. Und die wird von der Nationalgarde kontrolliert. Doch niemand stört sich daran. Im Gegenteil, nun würden kaum noch Autos gestohlen, berichtet ein Bewohner. Ende 2015 hat man den 30-jährigen Geburtstag des Kraftwerks gefeiert, die Plakate hängen immer noch.

Was nach Aussage der Physiker höchstens einmal in 10.000 Jahren hätte geschehen können, ist jetzt geschehen. 10.000 Jahre sind eingeschmolzen auf diesen Tag.

Energodar heißt „Energiespender“. Hier produzieren sechs Atommeiler und ein Kohlekraftwerk 25 Prozent des Strombedarfs der Ukraine. Natürlich sei die Front nahe. Doch das sei kein Grund zur Besorgnis, sagt Iwanow. Er sei sich sicher, dass alle am Konflikt Beteiligten so viel Verantwortungsbewusstsein hätten, den Reaktor nicht in die Kämpfe einzubeziehen. Was sonst in der Ukrai­ne nur noch schlecht funktioniert, das klappt hier. Die Zusammenarbeit mit Russland, das über 90 Prozent der Brennstä­be liefere, verliefe reibungslos. Die Transportzüge seien gut geschützt.

Doch so sicher wie Iwanow im Gespräch tut, scheint man sich auf der Chefetage nicht zu sein. Neben den Dienstplänen, die auf dem Gang aushängen, fordert ein Schreiben alle Mitarbeiter vor dem Hintergrund des Konflikts im Donbass auf, besonders umsichtig zu sein, und alle Auffälligkeiten zu melden.

Die Zusammenarbeit mit Russland berge allerdings auch gewisse politische Risiken, so Atommanager Iwanow. Schrittweise will man innerhalb der nächsten Jahre im 5. Block von russischen Brennstäben zu Brennstäben des amerikanisch-japanischen Konzerns Westinghouse umstellen. Insgesamt seien die Westinghouse-Brennstäbe „nicht besser und nicht schlechter als die russischen“, so Iwanow. Doch nicht alle sind sich da so sicher. „Diese Kraftwerke sind aus Russland und für russische Brennstäbe gebaut. Ein russisches Kraftwerk mit amerikanischem Brennstoff zu betreiben ist riskant“, meint ein Ingenieur, der sich als Valentin vorstellt und seinen Nachnamen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte.

Valentin ist seit vielen Jahren im Kraftwerk Saporoschje beschäftigt. Auch er würde seine Tochter gern dort unterbringen. Die Löhne sind besonders hoch, der Arbeitsplatz gilt als sicher. Vor zwei Jahren sei das Kohlekraftwerk privatisiert worden und sofort nach der Privatisierung seien 600 von 3.000 Mitarbeitern entlassen worden. Das könne bei den Atomanlagen nicht passieren. Die seien ja in staatlicher Hand.

Relikt einer längst untergegangenen Epoche: sozialistische Musterwelt als Wandmalerei auf der Mauer einer Schule in der ehemaligen Kraftwerkerstadt Prypjat

Doch Valentin gefällt einiges nicht an seiner Arbeitsstelle. Die Korruption macht vor dem Kraftwerk nicht halt. Zum Beispiel steht ein Haus mit Wohnungen für Mitarbeiter des Kraftwerks leer, weil niemand das Bestechungsgeld von 3.000 Dollar für eine Wohnung bezahlen könne. Valentin ist Patriot. Er sieht sich auf der Seite der Ukraine. Doch seine Kollegen seien zu 70 Prozent prorussisch eingestellt. Als er den Kollegen von seinem freiwilligen Einsatz an der Front berichtet hat, hätten ihn einige sogar als Mörder beschimpft.

Energodar ist die einzige Stadt in der Ukraine mit einem über alle Straßen verzweigten Lautsprechernetz. Und jeden Montag werde der Bevölkerung über diese Lautsprecher eingetrichtert, dass man im Wald kein Feuer machen dürfe und man mit Alkohol vorsichtig umgehen solle. „Ich glaube, so etwas gibt es nur noch in Nordkorea“, fügt Valentin hinzu.

Iryna Holowko ist eine der wenigen AtomkraftkritikerInnen im Land. Sie arbeitet für die Umweltschutzorganisation Bankwatch Network, eine NGO die die Finanz- und Energiepolitik europaweit kontrolliert und für Transparenz sorgt. Die Laufzeitverlängerung der Kraftwerksblöcke 1 und 2 in Saporoschje seien ein weiteres Risiko für die Ukraine, meint Holowko. Je älter ein Reaktor, desto höher der Verschleiß. Und gewisse Elemente, wie der Reaktorkorpus, würden auch bei der Modernisierung nicht erneuert. Auch die Sicherheitsvorhaben, die nach Fu­ku­shima beschlossen und von der Internationalen Atomenergiebehörde vorgeschrieben worden waren, wurden erst verspätet umgesetzt. Die Ukraine müsse endlich, meint Holowko, auf erneuerbare Energien und Energiesparen umsteigen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen