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Turin TriennaleVom Vergnügen, traurig zu sein

Dem neuen Leiter der Biennale von Venedig, Daniel Birnbaum, gelingt mit der Turin Triennale eine Themenausstellung, die ihr Motto nicht überstrapaziert.

Astrologisch betrachtet gilt Saturn als schlimmer Verzögerer und Miesmacher unter den Planeten. Er wurde in der Antike und dem Mittelalter für die Schwermut verantwortlich gemacht, für die depressive Grübelei und das Hadern mit sich und der Welt. Eine komplizierte Stimmung, der aber immer wieder Kunst entspringt. In den 1960er-Jahren hatten die Kunsthistoriker Erwin Panofsky und Fritz Saxl gemeinsam mit dem Literaturwissenschaftler Raymond Klibansky "Saturn und Melancholie" ins Zentrum einer interdisziplinären Studie über die Zusammenhänge von Kunst, Astrologie und Naturwissenschaft gesetzt. 2005 widmete sich die Neue Nationalgalerie Berlin mit der Ausstellung "Melancholie - Genie und Wahnsinn in der Kunst" dem Thema mit universalem Anspruch. Daniel Birnbaum, Rektor der Frankfurter Städelschule und des Portikus, versteht die Melancholie ähnlich ambivalent und fokussiert bei der zweiten Triennale von Turin nun auf die produktiven Seiten des traditionellen Künstlertemperaments.

"50 lune di saturno" heißt die groß angelegte Schau, die noch bis zum 1. Februar 2009 an drei, leider weit voneinander entfernten Standorten in Turin stattfindet: der Kunsthalle Palazzina della Società Promotrice delle Belli Arti aus dem 19. Jahrhundert, der privat gestifteten Fondazione Sandretto Re Rebaudengo einer einflussreichen Turiner Sammlerin und dem in den Hügeln über der Stadt liegenden Castello di Rivoli, einem in den großzügigen Räumlichkeiten einer Burganlage liegenden Museum für zeitgenössische Kunst.

"Die saturnische Seele ist dunkel und schwermütig, doch angeregt und strahlend; passiv und grundsätzlich negativ, aber manchmal rebellisch und in herrlicher Weise produktiv", erläutert Birnbaum im Katalog zur T2, für die er 50 Künstler und Künstlerinnen eingeladen hat, "Melancholie ist eine ambivalente und rätselhafte Verfassung, welche den Sinn dafür schärft, dass radikale Veränderung trotz allem möglich ist. Sie ist der Zustand der Verzweiflung, aber auch der Inspiration." Symptomatisch illustriert Donald Urquharts Wandinstallation von Zeichnungen dieses Nebeneinander von Stimmungen. Für den Schotten bestehen melancholische Gefühle aus der Gleichzeitigkeit von Traurigkeit und Trägheit, die höchstens mit Ironie überwunden werden kann. Der isländische Künstler und Musiker Ragnar Kjartansson nimmt die Sache ebenfalls sarkastisch und beschreibt die achte Sünde, die Melancholie, mit Victor Hugo als das Vergnügen, traurig zu sein. Eine Stunde lang hat er für das Video "God" lediglich die Zeile "sorrow conquers happiness" in ständiger Wiederholung eingesungen. Der redundante Swing seiner Bigband variiert dabei gerade so viel, dass der Sänger seine ernüchternde Performance durchhalten kann. Auch Lara Favaretto beweist Humor mit ihren kinetischen Skulpturen aus rotierenden Waschanlagenbürsten, während Peyman Rahimi in einer Serie von Siebdrucken seinen düsteren Blick auf den Lauf der Zeit senkt.

Zwei Künstlern räumt Birnbaum besonderen Platz ein. Paul Chan stößt mit seinen pixeligen Videopanoramen zuerst ab. Die kindlichen, in der Retroästhetik früher Computerspiele animierten Assoziationen über Blumenwiesen, Autoerotik und Gewaltexzesse sind monströs und verbergen ihre sich überlagernden Erzählstränge. "Happiness (finally) after 35,000 Years of Civilization" ist hier zu einem perversen Spiel degeneriert. Eine neue Arbeit zitiert Marquis de Sades Vergewaltigungsfantasien mit derber Verbalerotik, bleibt aber visuell derart spröde, dass man sich mehr Vermittlung gewünscht hätte. Olafur Eliasson funktioniert dagegen wie gewohnt ganz ohne Erklärung - nur durch Überwältigung. In einem die Ausstellung quasi abschließenden hohen Gewölbesaal des Castello di Rivoli hat er zwei reflektierende Mobiles aus Glasringen installiert, die das Licht der auf sie strahlenden Scheinwerfer, in farbige Spektralbögen brechend, an die Wände werfen. Er versteht es auf verblüffende Weise, mit einfachsten Mitteln wissenschaftliches Interesse zu wecken und kindliches Vergnügen zu bereiten. Dabei wandelt er auf der Schwelle zwischen esoterischem Pathos und der Erfahrung des Sublimen. Der Saturn bekommt seine Ringe wieder, und die Besucher bleiben zurückgeworfen auf die Erkenntnis, wie kompliziert einfach die Schöpfung strukturiert ist.

Daniel Birnbaum ist es mit der Turin Triennale gelungen, eine Themenausstellung zu konzipieren, die weder ihr Motto überstrapaziert noch die kuratorischen Zügel zu locker lässt. Er versucht glücklicherweise nicht, die Melancholie zu illustrieren. Stattdessen definiert er die melancholische Atmosphäre als Keimzelle experimenteller Kunstproduktion. Damit empfiehlt Birnbaum sich nachdrücklich für Venedig, wo er im nächsten Jahr die 53. Biennale leiten wird. Unter dem Thema "Weltenmachen" hat er angekündigt, seinen Schwerpunkt auf Produktionsprozesse zu legen. Den Begriff will der Philosoph Birnbaum weit fassen: Wo wird Kunst produziert, und wie werden die Bilder geschaffen, die wir als Kunst wahrnehmen? Wie arbeiten Künstler, deren Werk eine Schlüsselrolle für Generationen spielt? Wenn es ihm gelingt, trotz der kurzen Zeit der Vorbereitung eine ähnlich konzentrierte Ausstellung wie in Turin hinzulegen, könnte 2009 ein guter Jahrgang für die Biennale werden.

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