piwik no script img

■ Turbulenzen bei der Münchner Oberbürgermeister-Wahl:„Spinner sind nette Menschen“

München (taz) – Eine Gruppe, deren Existenz in Bayerns Landeshauptstadt bislang weitgehend unbekannt war, ist in den Mittelpunkt des Münchner Oberbürgermeister-Wahlkampfes geraten. Das Verdienst, diese Spezies nicht nur entdeckt, sondern auch benannt, ihre Größe geschätzt und ihre Bedeutung bewertet zu haben, gebührt dem bayerischen Umweltminister Peter Gauweiler. Gleich in seiner Antrittsrede als CSU-Kandidat bekannte er: „Mir sind 1,3 Millionen Münchnerinnen und Münchner wichtiger als eine Handvoll alternativer Spinner.“ Und damit dies auch alle erfahren mögen, versah er den Satz mit seiner weichen, schülerhaften Unterschrift und ließ ihn auf Plakaten in der ganzen Stadt aushängen. Mit ungeahnter Resonanz.

Der Chef selbst hat das Plakat nach den Worten von Sven Thanheiser, einem der ehrenamtlichen Wahlkampfmanager Gauweilers, entworfen – ebenso wie die meisten CSU-Slogans, zu denen auch der Klassiker „Nein zur Schlammschlacht – Ja zu Gauweiler“ zählt. Die Aussage des „kleinen, netten und provokativen Plakaterls“ erklärt Thanheiser so: „Spinner sind eigentlich nette und liebe Menschen“, nur in der Politik sollten sie nichts zu sagen haben. Im rot-grün regierten München wedele der Schwanz aber bekanntlich mit dem Hund, eine Handvoll grüner Spinner bestimme über die Mehrheit. Als Beispiel nennt Thanheiser den Verkehr, Gauweilers Lieblingsthema in diesem Wahlkampf („Nein zum Stau – Ja zu Gauweiler“): Die Grünen drängten die Sozialdemokraten zu immer neuen Schikanen gegen die Autofahrer, der SPD-Kandidat Christian Ude müsse immer neue Rückzugsgefechte auf diesem Gebiet kämpfen.

Die „alternativen Spinner“ im Rathaus sorgen zudem nach CSU- Lesart allzusehr für die alternativen Spinner im Volk. Daß die „vielen überflüssigen Selbsthilfegruppen“ (Thanheiser) sich ganz entgegen ihrer Bezeichnung nicht selbst finanzieren, sondern von der Stadt Geld bekommen, leuchtet den konservativen Kritikern jedenfalls nicht ein.

Der CSU-Slogan hat sich unterdessen verselbständigt. Zunächst blieb die Reaktion in parteipolitischen Bahnen. Die Grünen konterten mit einem Plakat: „Uns sind 1,3 Millionen Münchnerinnen und Münchner wichtiger als eine Handvoll korrupter Amigos“. Aktiv wurde aber auch eine Gruppe von WählerInnen, die sich als überparteilich und unabhängig bezeichnet und sich nicht länger nur darüber ärgern will, daß Gauweiler, wie Mitorganisator Tom Krapf sagt, einen Wahlkampf mit Themen macht, um die es gar nicht gehe („Nein zur Drogenfreigabe – Ja zu Gauweiler“). Mit Hilfe von Spenden starteten sie eine Unterschriftenaktion mit dem Motto „Wir sind 1,3 Millionen Münchnerinnen und Münchner und lieben unsere alternativen Spinner“. Auch wertkonservative Wähler regten sich über die Demagogie des Schwarzen Peters auf, erklären sie – schließlich würden die „hiesigen Querschädel und -denker“, sprich: alternativen Spinner wie Karl Valentin, König Ludwig II. oder Sergiu Celibidache über politische Grenzen hinweg geschätzt. Weit über tausend Unterschriften sammelte die private Initiative in kurzer Zeit und ließ sie ebenfalls in der Stadt plakatieren. München profitiere davon, eine liberale Stadt“ zu sein, heißt es in dem Aufruf weiter. „Zweitgrößte Verlagsstadt der Welt wird man nicht von ungefähr, ebenso wenig Stadt der Medien oder der Künste.“ Während die CSU ihren Slogan noch als vollen Marketing-Erfolg feiert, formiert sich die neu entdeckte Spezies weiter: Anfang der Woche wurde in München die erste „Alternative-Spinner-Party“ gefeiert. Stefan Niggemeier

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen