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■ Tun und LassenBrot ODER Spiele!

Die größte anzunehmende Störung im Konzertsaal ist bekanntlich ein physiologischer Stau, der sich gerne ausgerechnet während des pizzicatos bildet und erst in der Satzpause abgehustet werden kann. Ins Kino wird ein störender Stau bereits mitgebracht, der sich kauend entlädt. „Der Herr da in der zweiten Reihe verspeist gerade einen halben Ochsen!“ läßt schon der Hackssche Aristophanes in einem seiner Dramen sich einen laut empören. Genau wie im Kino! Denn kaum ist das Licht aus, machen SIE sich über ihre Vorräte her. Quer durch alle Genres verhunzen SIE auf diese Weise unterschiedslos, aber dafür systematisch jeden Film durch Schmatzen und – durch Rascheln.

Was ist das? Ein erblicher Defekt womöglich, ausgelöst durch das Brot-und-Spiele- Gen des einen oder anderen römischen Legionärs, der seinerzeit triebgestaut den Limes rauf und runter rannte. Eher aber Resultat jener unguten Konditionierung, privatim das TV-Programm mit Chips und Häppchen vespernd zu begleiten und so gleichsam zu Bildverzehrern zu mutieren. Beim unvermeidlichen Transfer der Gewohnheit in die öffentliche Sphäre des Kinos wechselt eigentlich nur die Geschmacksrichtung: von salzig nach süß nämlich.

Das wiederum liegt bekanntermaßen an einer der unangenehmeren Begleiterscheinungen der Amerikanisierung unseres Kulturbetriebs: der Verknüpfung von Kino und Popcorn. Die Akzeptanz fürs geräuschvolle Mümmeln geht dort so weit, daß Mickey Rourke in „Diner“ seine private parts zur freundlichen Liebkosung durch die Nachbarin gefahrlos in einer Popcorntüte verstecken konnte. Hierzulande war zunächst das Konfektfräulein Agentin jener unheilvollen kulturellen Kodierung, aufgrund derer SIE seither pünktlich zum Hauptfilm nach Knusperutensilien schreien. In der Folge wurden dann auch noch den Eiskonfekt- und Gummiwarenherstellern Tür und Tor geöffnet ... Nun unterscheidet sich zugegebenermaßen der Malmfaktor von Chips rein dezibelmäßig erheblich von den Einspeichelgeräuschen der Süßwaren – aber darauf kommt es gar nicht an: das Gekruspel einer Tüte Weingummi erledigt jeden Spannungsbogen. Und mich.

Was tun? Rascheln ist ja nicht verboten. Kann man wagen, Rücksichtnahme zu verlangen, wo mächtige Kulturkodes wirken? Aber ja! Die Leinwandakteure können und brauchen sich nicht wehren. Aber ich. Niemand verlangt, daß SIE, wie in harten Cineasten-Kreisen üblich, auch noch dem 5. Skriptgirl durch stilles Verharren vor dem Abspann Respekt erweisen. Aber mir, mir sollen SIE Respekt erweisen. SIE sollen aufhören zu kruspeln und zu kauen. SIE sollen nicht schmatzen und nicht reden. SIE sollen einfach stillsitzen und zugucken. Sonst hau ich ihnen nächstens einen halben Ochsen um die Ohren. Elisabeth Jean

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