■ Tun und Lassen: Klettenphänomen
Eine der schwierigsten Herausforderungen des alltäglichen Lebens sind zweifellos die anderen Leute. Insbesondere die, die man auf Anhieb unsympathisch oder langweilig findet, denen man aber aus beruflichen oder privaten Gründen leider nicht einfach aus dem Weg gehen kann. Unpraktischerweise steigt mit dem Grad von Antipathie oder Desinteresse gern auch die Unfähigkeit, sich derartigen Gefühlslagen entsprechend zu verhalten. Und zwar proportional.
All jene also, die nicht mit dem Naturtalent ausgestattet sind, sich in Konfliktfällen des Anlasses ihres Ärgers mitleids- und umstandslos zu entledigen, geraten in das klassische Dilemma, nicht sagen zu können, was zu sagen wäre, weil Höflichkeit, Einfühlsamkeit oder Friedfertigkeit es verbieten. Seltsamerweise steigt mit der Dauer des Schluckens und Schweigens auch gern der Grad des Hasses. Leider ebenfalls proportional.
Denn das Besondere und besonders Schreckliche an langweiligen und unsympathischen Menschen ist ja, daß sie die erste Stufe instinktiver Maßnahmen zur Abstandnahme – Höflichkeit und mildes Desinteresse – mit konstanter Boshaftigkeit ignorieren. So ist man schnell gezwungen, Stufe zwei, den Dissensaufbau, zu starten. Hier gilt es, mindestens jede zweite Äußerung eloquent zu kritisieren. Man glaubt gar nicht, wie viele Leute auch das noch problemlos wegstecken, was irgendwann Stufe drei nach sich zieht: die systematische Antihaltung. Eine äußerst anstrengende Sache das, all diese genervten Blicke, verächtlichen Schnaufer und all die Verabredungen, die man absichtlich vergessen muß. Und so kommt es, daß ansonsten freundliche Zeitgenossen (höflich! einfühlsam! friedfertig!) zu ihnen gänzlich wesensfremden Praktiken gezwungen sind. Alles nur wegen der Dickfelligkeit von Leuten, die man einfach nur nicht leiden kann.
Und eine Erfolgsgarantie gibt es selbst dann noch nicht, denn die größten Idioten sind oft die schlimmsten Kletten. Es hat alles keinen Sinn: Es muß raus. Irgendwie. Denn nicht immer hat man Zeit für das oben beschriebene Schonprogramm, das außerdem die unschöne Begleiterscheinung hat, daß man am Ende selbst zu einem veritablen Schweinehund mutiert ist – viel schlimmer als das Objekt der Antipathie. Aber Mut, man kann lernen, was in einigen Fällen lebensrettend sein kann. Oder wollten Sie – auf einer Pressereise beispielsweise – mit einem fremden Kollegen herumlaufen, der sich aus purer Initiativlosigkeit an Sie gehängt hat, hinter Ihnen hertrottet und nur ab und an mißmutig fragt: „Und was machen wir jetzt?“ Nein. Dem sagen Sie das nächste Mal: „Tut mir leid, aber Sie machen mich fertig. Ich gehe jetzt alleine weiter.“ Selbst erprobt und sehr wirkungsvoll. Steigert das Wohlbefinden und den Seelenfrieden. Und zwar proportional. Elisabeth Jean
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen