Türkische Truppen im Nordirak: Blutiger Winterfeldzug
Türkische Armee rückt auf das Hauptquartier der PKK im Nordirak vor. Kurdenführer Barsani hält seine Milizen bislang heraus. PKK kündigt Vergeltung an.
ISTANBUL taz Der in der letzten Woche begonnene Angriff türkischer Truppen auf Camps und Verstecke der separatistischen kurdischen Arbeiterpartei PKK im Nordirak entwickelt sich zu einem blutigen Winterfeldzug. Nach letzten Informationen will die Armee ihre Angriffe bis zu 14 Tage lang fortsetzen. Am Montag früh rückte die Armee auf das mutmaßliche Hauptquartier der PKK im Nordirak vor.
Nach türkischen Angaben sind rund 10.000 Soldaten unterstützt von Kampfflugzeugen und Hubschraubern im Einsatz. Laut Generalstab kamen 112 PKK-Kämpfer und 15 Soldaten in den vergangenen drei Tagen ums Leben. Demgegenüber erklärten PKK Sprecher am Wochenende, es gebe mindestens 15 weitere Leichen unter den türkischen Soldaten, die die Armee nicht geborgen hätte. Sie selbst hätten nur einige Verletzte zu beklagen.
Ebenfalls bislang nicht von unabhängigen Quellen verifiziert ist die Behauptung eines PKK-Sprechers gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, die PKK habe einen Cobra-Hubschrauber abgeschossen, der in unwegsamen Gelände bei Dohuk heruntergegangen sei.
Angaben beider Seiten zufolge finden die schwersten Kämpfe offenbar im Bezirk Zab statt. Das ist die Region, die sich jenseits der türkisch-irakischen Grenze an iranisches Gebiet anschließt. Allerdings hat die türkische Armee an mehreren Punkten die Grenze in den Nordirak überschritten, vom Länderdreieck Türkei-Irak-Iran bis zum Grenzübergang Habur, der fast in der syrischen Tiefebene liegt. Offiziell ist dieser einzige reguläre Grenzübergang zwischen der Türkei und dem Irak nicht geschlossen, tatsächlich wird er aber nur von Militärkonvois benutzt. Wie weit die Soldaten vorgedrungen sind, ist unklar.
Von offizieller irakischer Seite wird der türkische Einmarsch als eine geringfügige Grenzverletzung heruntergespielt. Weniger als tausend Soldaten hätten die Grenze überquert, sagte ein Sprecher der irakischen Regierung. Der Führer der irakischen Kurden und Präsident der nordirakischen Autonomieregion, Massud Barsani, verurteilte den Einmarsch, kündigte jedoch an, dass seine Milizen sich heraushalten würden. "Solange die türkische Armee keine zivilen Ziele angreift, sind wir an diesem Krieg nicht beteiligt", sagte er.
Die irakischen Kurden dürften vom türkischen Vormarsch ziemlich geschockt sein - vor allem, weil sie nichts dagegen tun können. Barsani warf deshalb auch der US-Regierung vor, sie hätte einen türkischen Einmarsch mit ihrer Zustimmung erst möglich gemacht.
Am Wochenende war deutlich geworden, dass das Vorgehen der türkischen Armee mit den USA eng abgesprochen ist. Premier Tayyip Erdogan hatte Präsident Bush vorab informiert. In der Woche zuvor waren hochrangige US-Militärs in Ankara gewesen, und am Freitag, dem ersten Tag nachdem die Armee die Grenze überschritten hatte, war eine Delegation des US-Senats in Ankara zu Gast. Ein Sprecher des Weißen Hauses sagte am Samstag, die USA unterstützten den Einmarsch, hätten aber zur Bedingung gemacht, dass die türkische Armee sich strikt auf PKK-Ziele konzentriere. Außenministerin Condoleezza Rice bestätigte später, dass die USA, der Irak und die Türkei gemeinsam gegen die PKK vorgingen. Lediglich Verteidigungsminister Robert Gates erinnerte gestern daran, dass die PKK kaum militärisch zu besiegen sei, sondern dazu ein breites Paket politischer und ökonomischer Maßnahmen gehöre. Auf politischer Ebene könnten demnächst erste Schritte erfolgen.
Der türkische Präsident Abdullah Gül hat Iraks Präsidenten, den Kurden Dschelal Talabani, zu Gesprächen nach Ankara eingeladen. Talabani hat im Prinzip zugesagt, will aber abwarten, bis die Armee sich aus dem Nordirak zurückgezogen hat. In der türkischen Öffentlichkeit wurde der Einmarsch überwiegend begrüßt. Bis auf die kurdische DTP haben alle Parteien der Armee ihre Unterstützung zugesagt. Die Medien geben sich kriegerisch und präsentieren die Helden im Nordirak. Nur die linke Tageszeitung Birgün titelte am Samstag "Nein" und ließ Kritiker des Einmarsches zu Wort kommen.
Die kurdische DTP organisierte Demonstrationen in mehreren Städten und hält seit gestern einen Kongress in Diyarbakir ab. Dort kritisierte die bekannte kurdische Politikerin Leyla Zana den Einmarsch, begrüßte aber, dass Talabani zu Gesprächen nach Ankara kommen wolle. Die PKK kündigte Vergeltung an. Ein Sprecher sagte gestern, man werde den Krieg in die türkischen Städte tragen. Die Metropolen müssten "unbewohnbar" werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren