Türkische Rückkehrer: Ersatzdeutschland gegen das Heimweh

Die andere Parallelgesellschaft: "Wir sitzen im Süden" (Montag, 0.10 Uhr, ZDF) erzählt unterhaltsam von Türkei-Rückkehrern und ihrer Sehnsucht nach Deutschland.

Zuhause und doch fremd: Einleben in der Türkei. Bild: ZDF/Anne Misselwitz

"Dann kam der Kellner zu mir und sagt: ,Was magst'n trinken?'" Das Bemerkenswerte ist nicht die Frage an sich, sondern der Ort, an dem sie und die Sprache, in der sie gestellt wurde: auf Deutsch, in Istanbul. Es gibt dort ein Ersatzdeutschland für Türken mit Migrationshintergrund - Istanbuler, die in Deutschland aufgewachsen, vielleicht sogar geboren sind. Von ihnen, von ihrer etwas anderen Parallelgesellschaft handelt dieser Film. Natürlich handelt er damit auch von Deutschland.

"Wir sitzen im Süden" lief gerade im Oktober auf dem Dokumentarfilmfestival in Leipzig, danach bei einigen engagierten Kinobetreibern, wurde allenthalben gelobt.

Regisseurin Martina Priessner liefert festivaltypische Dokumentarfilmkunst, scheinbar spröde (Direct-Cinema-Manier, Verzicht auf Off-Kommentar, Spielfilmlänge), dann aber, wenn man sich darauf einlässt, doch sehr zugänglich, unterhaltsam, irgendwie warmherzig.

Das liegt an den so sympathischen Protagonisten: dem leutseligen, schwulen Murat, der gern bäckt und singt; der quirligen, mit ihren Gefühlen nicht hinter dem Berg haltenden Fatos; der klugen, Katzen liebenden Çigdem, die anders als Murat und Fatos nicht von ihren Eltern verschleppt, sondern freiwillig, bewusst aus Deutschland weggegangen ist: "Hab meinen bordeauxfarbenen Pass in der Tasche, ich kann zurück, wann ich will!" Gern wird ja die Sprachkompetenz zum Maßstab der Integriertheit erhoben. Daran ist hier nicht zu zweifeln, sogar die Dialekte werden beherrscht. Fatos: "Und das blöde is', du musst immer Hochdeutsch reden ... Is' mir egal, ich komm' ausm Schwarzwald!"

Auf den ersten Blick fällt nur der abgeschobene Bülent mit seiner kleinkriminellen Vergangenheit aus dem Rahmen. Dann erweist sich aber auch er als echter Wonneproppen. Er gibt sich so zerknirscht und nachdenklich und hat für seine Jugendsünden eine so einleuchtende Erklärung - der Tod des Vaters, die Unfähigkeit zu trauern -, dass Psychologen und Resozialisierungskommissionen ihre helle Freude an ihm haben sollten.

Die vier jungen Leute arbeiten übrigens alle in Call-Centern: Murat meldet sich bei der Lufthansa mit seinem Nachnamen Demirel, während Bülent die Neckermann-Kunden als Ralf Becker willkommen heißt und Fatos sich am Headset als Ilona Manzke meldet.

Die nostalgische Wehmut, die tiefe Sehnsucht, ja das Heimweh der Türken nach Deutschland, tut den Zuschauern hier nicht wirklich weh - sie sitzen ja nicht im Süden, sondern im gelobten Deutschland. Die, die den Film jetzt als willkommene Replik auf die migrantenfeindlichen Affekte der jüngsten Integrationsdebatte rezipieren, sind ein bisschen unfair im Verteilen ihrer Gunst und Missgunst.

Denn natürlich wurde der Film gedreht, lange bevor dem Land auch nur schwante, dass es sich in diesem Herbst selber abschaffen würde, angeblich. Und natürlich ist Martina Priessners Besetzung ganz genauso einseitig und tendenziös gecastet wie die Kopftuchmädchen, die Thilo Sarrazins labyrinthische Hirnwindungen in Myriaden bevölkern.

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