Türkische Nationalisten: "Die Ideologie der Wölfe gefällt mir"
Mehmet Cetin ist Sprecher der Berliner Grauen Wölfe. Er erklärt, warum er zum Dialog mit Kurden bereit ist - und trotzdem keine kurdische Flagge in seinem Verein akzeptiert.
Die Anhänger der nationalistischen "Föderation der türkisch-demokratischen Idealistenvereine in Europa" (ADÜTDF) sind unter dem Namen "Graue Wölfe" bekannt. Ihr Idol ist Alparslan Türkes, Vorsitzender der rechtsextremen Partei der Nationalen Bewegung (MHP). Die bundesweite Mitgliederzahl wird auf etwa 7.500 geschätzt. Die Organisation propagiert die Einheit aller Turkvölker und "lebt wesentlich von Feindbildern", heißt es dazu im nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzbericht. "Bezüglich der Kurden beschreibt die Bewegung die kombinierten Gefahren des Kommunismus, Separatismus und Zionismus. Anhand dieses Konfliktes kann sie alle möglichen Feindbilder, von den Griechen bis zu den Amerikanern, auflisten und Ängste in der Bevölkerung über Bedrohungsszenarien und verschiedene Variationen der Verschwörungstheorien wachrufen. Vor diesem Hintergrund bietet die Bewegung mit ihrer ethnisch(rassistisch)-nationalistisch orientierten, stark islamisch gefärbten Ideologie, mit ihrer Gewaltbereitschaft und den am Führerprinzip ausgerichteten totalitären Strukturen Nährboden auch für islamistisch geprägte extremistische Bewegungen", heißt es weiter im Verfassungsschutzbericht.
taz: Herr Cetin, wie wird man ein Grauer Wolf?
Mehmet Cetin: Als Zehnjähriger bin ich in den Verein gekommen, habe einen Korankurs besucht, in dem ich den Islam näher kennen gelernt habe, dafür bin auch sehr dankbar. Seitdem komme ich regelmäßig in das Vereinshaus der Grauen Wölfe. Ich trinke hier meinen Tee, unterhalte mich mit den anderen Vereinsmitgliedern, es macht sehr großen Spaß.
Haben Sie sich bewusst dafür entschieden, ein Grauer Wolf zu werden? Oder sind Sie in diese Organisation reingewachsen?
Beides, ich bin hier seit meinen Jugendtagen - die Ideologie der Grauen Wölfe hat mir eben gefallen.
Was ist denn die Ideologie der Grauen Wölfe?
Der Graue Wolf ist ein Symbol für alle Türken, nicht nur für die in der Türkei. Die Ideologie verfolgt die Bewahrung der türkischen Kultur und der Religion.
Können Sie uns Ihren Kulturbegriff erläutern?
Das ist schwer. Es gibt verschiedene Aspekte. Kultur ist sehr eng mit der Religion verbunden, weil durch sie Kultur geprägt wird. Kultur ist eine Entwicklung, und der Islam ist mit den Türken ja seit tausenden von Jahren verbunden. Das türkische Kaffeehaus ist ein Teil der Kultur, wie die Kneipe bei den Deutschen. Das gehört alles zusammen, es ist ein sehr breites Spektrum.
Und können Sie uns auch die Ziele der Grauen Wölfe nennen?
Wir verfolgen jedenfalls in erster Linie keine politischen Ziele. Für die türkische Politik ist die türkische Regierung zuständig. Wir kümmern uns vor allem um die Bildung und die Ausführung des Glaubens.
Bitte? Sie haben keine politischen Ziele?
Nein, ich persönlich habe keine politischen Ziele.
Sie als Sprecher der Grauen Wölfe Berlin haben keine politischen Ziele, warum engagieren Sie sich dann?
Das habe ich bereits erwähnt. Wir helfen bei der Integration, wir sind für ein Miteinander der Türken und Kurden. Wir helfen den Menschen, sich in diesem Land zurechtzufinden.
Ist das hier nicht eher eine Parallelwelt, die Sie fördern?
Nein, auf keinen Fall. Das sieht von außen nur so aus. Wenn ein Außenstehender hier reinkommt, dann sieht er nur Türken und Kurden. Dann muss man sich erst mal hinsetzen und fragen, was wir hier machen. Wir haben verschiedene Aktivitäten, wir helfen den Menschen, sich zu integrieren. Sei es mit Deutschunterricht oder Nachhilfekursen oder dem gemeinschaftlichem Essen.
Sie haben mehrmals betont, dass auch Kurden Ihren Verein aufsuchen. Aber warum hängen hier nur türkische Flaggen, Fahnen mit dem Symbol der Grauen Wölfe und eine deutsche Flagge. Wir vermissen eine kurdische Flagge.
Eine kurdische Flagge?
Ja.
Soweit ich weiß, gibt es kein Kurdistan. Zumindest nicht offiziell.
Aber es scheint eine kurdische Identität zu geben - und so auch eine kurdische Kultur.
Ja, die gibt es. Und sie ist auch sehr eng mit der türkischen Kultur verbunden.
Wenn beide Gruppen vieles verbindet, müsste doch erst recht hier eine kurdische Flagge zu sehen sein. Wir sehen dafür eine Fahne der Uiguren, ein muslimisches, staatenloses Volk.
Die Flagge ist ein Symbol für einen Staat, somit ist die Frage auch beantwortet. Wenn Sie weiter denken, wissen Sie, dass es keinen kurdischen Staat gibt.
Kritiker bezeichnen den Verein der Grauen Wölfe als "faschistisch".
Das wird öfter gesagt, aber wir sind keine Faschisten. Das hängt damit zusammen, dass der Begriff Nationalismus von Land zu Land unterschiedlich interpretiert wird. In Deutschland wird Nationalismus mit Faschismus gleichgestellt, in der Türkei oder in Frankreich ist das anders. Deswegen denken viele Menschen, wir seien Nationalisten. Das stimmt, das sind wir, aber keine Faschisten. Diese Menschen, die gegen unsere Vereine sind, behaupten auch, Nationalisten sind gleich Faschisten. Das ist falsch.
Haben Sie eine Ahnung, weshalb der Verfassungsschutz die Vereine der Grauen Wölfe beobachtet?
Keine Ahnung, da müssen sie den Verfassungsschutz fragen. Wahr ist aber, dass auch die PKK vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
Die PKK ist verboten.
So wundert es mich, dass sie ihre Vereine in Deutschland haben.
Fühlen Sie sich vom Verfassungsschutz und von der Öffentlichkeit zu Unrecht beurteilt?
Ja, denn wir arbeiten nicht gegen die deutsche Verfassung.
Nordrhein-westfälische Verfassungsschützer stellten antisemitische Schriften in Vereinsräumen der Grauen Wölfe sicher. Haben Sie solche Schriften hier auch?
Nein.
Herr Cetin, was haben Sie am 28. Oktober gemacht? An dem Tag kam es bundesweit zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Türken und Kurden.
Ich war auch beim Meeting und habe die türkische Fahne geschwenkt.
Warum haben Sie demonstriert?
Gegen die PKK.
Wie kam es zu den Krawallen?
Zu Beginn waren die Proteste friedlich, so wie es sein sollte. Dann kam es zu Provokationen durch PKK-Sympathisanten und teilweise durch die Polizei. Es kam leider zu Ausschreitungen.
Nationalistische Türken hätten "Jagd auf Kurden" gemacht, teilte die Deutsche Polizeigewerkschaft mit.
Kurden wurden gejagt?
So berichten die Sicherheitsleute.
Also, ich war ja selber da. Die Kurden wurden nicht gejagt. Eine Jagd sieht ganz anders aus. Am Anfang war es nur ein Protest, und dann sind, wie ich gehört habe, Steine geflogen.
Also stimmt die Aussage der Polizeigewerkschaft nicht?
Ich kann ihnen nur sagen, was ich miterlebt habe, vielleicht hat die Polizeigewerkschaft andere Quellen.
Warum werden diese Konflikte in Deutschland ausgetragen?
Schwachsinn, diese Konflikte hier auszutragen, ich verurteile das, weil man sich an die Verfassung halten muss.
Solche Szenen erwecken den Eindruck, als seien diese Demonstranten nicht in Deutschland angekommen.
Nein, das stimmt nicht. Ich bin für Integration, aber nicht für Assimilation. Mein Herz ist in der Türkei, aber ich lebe in Deutschland. So verhalte ich mich auch.
Was wird passieren, wenn das türkische Militär in den Nordirak marschiert. Wird die Situation sich dann weiter zuspitzen?
Das glaube ich nicht. Das, was passiert ist, ist schon zu viel. Das ist eine Sache zwischen den türkischen Regierung und der PKK. Ich glaube auch, dass es eine sehr schnelle Aktion wird. Es ist bekannt, wo die sich aufhalten.
Betrachten Sie sich als Türke, Deutscher oder als Deutschtürke?
Ich habe einen türkischen Pass.
Möchten Sie keinen deutschen Pass besitzen?
Ich habe einmal einen Antrag gestellt, habe es mir dann wieder anders überlegt. Es gibt nicht genügend Vorteile, warum ich einen deutschen Pass beantragen und dafür Geld zahlen sollte.
Warum wollen Sie nicht die deutschen Staatsangehörigkeit?
Für mich ist der deutsche Pass nur ein Stück Papier. Viele Vorteile erhoffe ich mir dadurch nicht. Ich will mir den ganzen Stress beim Antrag und bei der Regelung des Finanziellen nicht antun. Es ist auch eine Frage der Notwendigkeit. Sollte ich nur eine Wohnung mit einem deutschen Pass bekommen, dann beantrage ich ihn.
Wenn bei Fußballspielen die Türkei und Deutschland teilnehmen, für wen jubeln Sie?
Das ist eine schwierige Frage. Wenn zum Beispiel Deutschland gegen Frankreich spielt, dann bin ich für Deutschland. Wenn die Deutschen gegen die Türken spielen, dann wäre ich wahrscheinlich für die Türkei.
Was ist für Sie an der deutschen Kultur fremd? Warum möchten Sie sich nicht assimilieren?
Ich verstehe die deutsche Kultur sehr gut, aber ich bin dafür, dass man seine eigene Geschichte nicht vergisst. Ich bin für ein friedliches Zusammenleben. Assimilation finde ich nicht notwendig.
Was bedeutet Assimilation für Sie?
Assimilation ist eine totale Gleichstellung und führt dazu, dass man seine Herkunft vergisst. Das ist eine extreme Integration, wenn man so möchte. Die Integration alleine reicht vollkommen aus, damit wir friedlich miteinander leben können. Assimilation führt dazu, dass man die eigene Geschichte vergisst.
In den USA leben auch viele Völker assimiliert miteinander.
In der Türkei leben auch viele verschiedene Völker zusammen.
In der Türkei ist es so leicht nicht, anders als die Mehrheit zu leben. Es ist zum Beispiel schwierig, neue Kirchen zu bauen.
Wo?
In der Türkei.
Ich weiß die Zahl nicht genau, aber in Istanbul gibt es mehr Kirchen als Christen.
Sollten das nicht die Menschen vor Ort entscheiden?
Wie gesagt, es gibt mehr Kirchen als Christen. Ich brauche hier auch nicht meine eigene Moschee. Wahrscheinlich hat es einfach keinen Sinn, neue Kirchen zu bauen.
Herr Cetin, wo ist Ihre Heimat?
Deutschland ist meine Heimat. Aber wenn ich hier in Berlin, in Kreuzberg bin, habe ich Sehnsucht nach der Türkei. Wenn ich aber in der Türkei bin, dann sehne ich mich nach Deutschland.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht
Biden hebt 37 Todesurteile auf
In Haftstrafen umgewandelt
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten