Türkei: Handschlag mit großer Symbolkraft
Bei der konstituierenden Parlamentssitzung ist der befürchtete Zusammenstoß zwischen der neuen kurdischen Fraktion und der nationalistischen MHP ausgeblieben.
ISTANBUL taz Ein Foto zierte gestern alle Titelseiten der großen türkischen Zeitungen. Ahmet Türk, Vorsitzender der neuen kurdischen Fraktion im Parlament, schüttelt Devlet Bahceli, Chef der rechtsradikalen MHP, demonstrativ die Hand. "Ein schöner Beginn" titelte die Tageszeitung Hürriyet erleichtert, weil der befürchtete Zusammenstoß zwischen den Kurden und der MHP bei der konstituierenden Sitzung des Parlaments am Samstag ausblieb. Die MHP hatte ihren Wahlkampf mit der Forderung bestritten, den gefangenen PKK-Chef Abdullah Öcalan an den Galgen zu bringen.
Stattdessen demonstrative Freundlichkeit auf allen Seiten und eine erstaunliche pragmatische Abgeklärtheit bei den Kurden. Ohne mit der Wimper zu zucken, leisteten sie ihren Eid als Parlamentarier wie vorgeschrieben auf Türkisch. Fünfzehn Jahre zuvor hatten ihre Vorgänger um Leyla Zana herum noch einen Eklat produziert, weil sie den Eid auf Kurdisch ablegten. Die Botschaft ist klar: Die neue kurdische Fraktion will keine Symbolpolitik, sondern konkrete Reformschritte.
Erstmals in der Geschichte der türkischen Republik ist eine eigene kurdische Fraktion im Parlament vertreten, die sich dezidiert für die Rechte der kurdischen Minderheit einsetzt. In den 1990er-Jahren waren bereits einmal vier kurdische Abgeordnete auf der Liste der Sozialdemokraten ins Parlament gewählt, wenig später aber als angebliche Unterstützer der PKK angeklagt und auch verurteilt worden. Die jetzige Fraktion besteht aus 21 Abgeordneten, davon neun Frauen - unter ihnen die Kofraktionsvorsitzende Aysel Tugluk.
Auch Sükrü Elektra, der als ältester Abgeordneter bei der Parlamentseröffnung als Präsident fungierte, sprach der türkischen Öffentlichkeit aus der Seele, als er die Parteien ermahnte, konstruktiv zusammenzuarbeiten und nach konsensualen Lösungen zu streben. Das war natürlich eine Aufforderung an die AKP, sich die Kandidatur von Außenminister Abdullah Gül für den Posten des Staatspräsidenten noch einmal zu überlegen und stattdessen eine Person vorzuschlagen, die auch die Opposition mittragen kann.
Damit liegt gleich die drängendste Frage der türkischen Innenpolitik wieder auf dem Tisch. Wenn das Parlament in den kommenden Tagen einen neuen Parlamentspräsidenten gewählt hat, steht sofort die im Mai gescheiterte Wahl des Staatspräsidenten wieder auf der Tagesordnung. Das Parlament hat dann erneut vier Wochen Zeit einen Präsidenten zu wählen. Schafft es das nicht, wird es wieder aufgelöst.
Im Gegensatz zum ersten Anlauf im Mai haben sich jetzt die Voraussetzungen für die Wahl in mehreren Punkten geändert. Die AKP sieht sich durch ihren erdrutschartigen Sieg in dem Anspruch, den Staatspräsidenten zu stellen, bestätigt. Mit der kurdischen DTP und der rechtsradikalen MHP sind jetzt zwei neue Fraktionen im Parlament vertreten, die beide bereits angekündigt haben, die Wahl nicht boykottieren zu wollen und damit das notwendige Anwesenheitsquorum sicherzustellen. Allein die Militärführung beharrt weiter darauf, der Präsident müsse die laizistische Verfassung des Landes garantieren, und da gebe es bei Gül eben Zweifel.
Damit liegt der Ball nun wieder im Feld des alten und neuen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan. Wird er an Gül festhalten oder doch einen Kandidaten oder vielleicht sogar eine Kandidatin präsentieren, die oder der wenigstens den Anschein eines Kompromisses zulässt?
Während Gül argumentiert, der Wahlsieg verpflichte ihn dazu an seiner Kandidatur festzuhalten, hält Erdogan sich noch bedeckt. Nach ersten Gesprächen im Führungszirkel der Partei hielten alle Beteiligten dicht. Ein erstes Indiz dürfte die Wahl des Parlamentspräsidenten liefern. Bleibt Bülent Arinc, der dritte Mann der AKP, im Amt oder wird mit der Neuwahl des Parlamentspräsidenten ein Stühlerücken in der Regierung eröffnet, das sich mit Güls Kandidatur zum Staatspräsidenten fortsetzt?
Gleichzeitig mit der konstituierenden Sitzung des Parlaments tagte am Samstag die gesamte Militärspitze, um über die Nachfolge für den Chef der Luftwaffe und der Marine zu entscheiden. Erdogan war ebenfalls anwesend, doch auch aus diesem Treffen drang nichts nach außen.
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