Türkei-Wahl: Parlament, Knast und zurück
Eine historische Chance: Dem nächsten Parlament in Ankara wird erstmals eine kurdische Fraktion angehören.
ISTANBUL taz Es war eine Wahlnacht der Understatements. So wie sich Ministerpräsident Tayyip Erdogan bei seinem Auftritt nach dem Sieg keine Triumphgefühle anmerken ließ, war auch Aysel Tugluk, die Vorsitzende der kurdischen Partei der demokratischen Gesellschaft (DTP), in ihren ersten Äußerungen sachlich bis an die Schmerzgrenze.
Während in Diyarbakir, der größten Stadt der kurdischen Region, gefeiert wurde, gab Tugluk in Ankara Interviews, in denen sie jede Spontaneität vermissen ließ und lediglich wieder und wieder auf das Parteiprogramm verwies. Einen Tag vor der Wahl hatte Leyla Zana, die bekannteste kurdische Politikerin, noch mit der Bemerkung für erhebliche Aufregung gesorgt, dass es an der Zeit sei, eine kurdische autonome Provinz im Südosten der Türkei einzuführen. Auch zu dieser Forderung merkte Aysel Tugluk nichts weiter an, als dass sie nicht im Parteiprogramm stehe.
Tugluk ist eine von 23 Abgeordneten, die als unabhängige Kandidaten gewählt wurden, aber eigentlich zur DTP gehören. Erstmals in der Geschichte der modernen Türkei werden sie eine eigene Fraktion im Parlament bilden.
Einer der prominentesten unter ihnen ist Akin Birdal, der frühere Vorsitzende des Vereins für Menschenrechte. Bekannt ist auch Ahmet Türk. Dieser gehörte mit Leyla Zana und anderen zu den kurdischen Politikern, die Anfang der neunziger Jahre über die Liste Sozialdemokraten - der Vorgängerpartei der CDP - ins Parlament kamen, ehe ihnen 1994 unter Beifallsstürmen der übrigen Abgeordneten die parlamentarische Immunität entzogen wurde. Noch im Parlament wurden sie verhaftet und zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Den umgekehrten Weg wird Sebahat Tuncel gehen: Die DTP-Politikerin, die in Istanbul gewählt wurde, sitzt derzeit im Gefängnis und wird der Mitgliedschaft in der PKK angeklagt.
Vielleicht gesellt sich auch Ufuk Uras von der linken ÖDP zu der kurdischen Fraktion. Uras wurde im anatolischen Teil Istanbuls als unabhängiger Bewerber gewählt. Nicht dabei ist hingegen der linke Bewerber vom europäischen Teil der Stadt, der parteilose Universitätsprofessor Baskin Oran. Die DTP hatte in letzter Minute dort einen eigenen Kandidaten aufgestellt, den Einzug ins Parlament verpasst haben beide.
Die Politiker der DTP stehen enorm unter Druck. Die anderen Parteien, insbesondere die rechtsradikale MHP, warten nur darauf, sie als Handlanger der PKK oder der nordirakischen Kurden anzugreifen. Mit einer Fraktion selbstbewusster, teils klar nationalistischer Kurden im Parlament eröffnet sich nun die Möglichkeit, die Kurdenfrage mit den Betroffenen zu diskutieren.
Die anderen Parteien, einschließlich der AKP, werden eine eindeutige Distanzierung von der PKK einfordern und nicht damit aufhören, dass die kurdischen Abgeordneten sich zur territorialen Integrität des Landes bekennen müssen. Andererseits hat die kurdische Fraktion jetzt die Chance, alle Fragen von Minderheitenrechten unterhalb einer Sezession auf der Tagesordnung zu halten.
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