■ Türkei: Hungerstreik der politischen Gefangenen beendet: Der grüne Lack blättert ab
Niemand hat einen politischen Sieg errungen. Aber zwölf Menschen sind gestorben. Dabei war dieser Hungerstreik keineswegs, wie von konservativen Zeitungen angedeutet, Fassade für politische Forderungen. Es ging dabei um fundamentale Rechte: um menschenwürdige Haftbedingungen, keine Isolatationshaft, keine Prügel beim Transport von den Gefängnissen zu den Gerichten, keine Prügel gegen Familienangehörige vor den Gefängnistoren. Um dies zu erreichen, mußten ein Dutzend Menschen sterben, erst dann lenkte Justizminister Sevket Kazan ein. Kazan hatte zuvor öffentlich die Lüge verbreitet, daß die Gefangenen „Lebensmittel horten“. Außerdem hatte er von „unerfüllbaren“ Forderungen gesprochen und jene, die zum Dialog aufforderten, zu „Vaterlandsverrätern“ erklärt. Plötzlich waren die Forderungen dann erfüllbar, und die „Vaterlandsverräter“ mußten für die Beendigung des Hungerstreiks um Hilfe gebeten werden.
Als Oppositionspartei hatten die Islamisten den Türken das Blaue vom Himmel versprochen. Für jeden etwas. In den Ghettos der Großstädte, dort wo Mütter und Väter leben, deren Kinder Zuflucht in extremistischer Militanz suchten, doch in Polizeihaft und Gefängnis endeten, versprachen die Islamisten „Dialog“, „Toleranz“ und „Achtung vor Menschenrechten“. In den kurdischen Provinzen betrieb man Wahlpropaganda mit radikalen Sprüchen für die „kurdische Sache“. Streikenden Arbeitern versprach man höhere Löhne, egal wie defizitär der Staatshaushalt sein mag.
Heute ist man jedoch Regierungspartei. Damit sind auch die Zeiten vorbei, in denen sich die islamistische „Wohlfahrtspartei“ ungestraft als „Systemalternative“ präsentieren konnte. Dabei würde es noch nicht einmal Geld kosten, wenn man Strafgefangene nicht foltert und prügelt. So ist der Umgang mit dem Hungerstreik symptomatisch für die Konflikte der islamistischen Regierung. Einerseits müssen sie sich als brave Hüter des Systems gebärden – Tribut dafür, daß das herrschende Regime ihren Eintritt in die Koalition billigte. Andererseits enttäuscht genau diese Politik ihre Wähler. Es läßt sich nicht verhindern – der glänzende grüne Lack blättert ab. Ömer Erzeren
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