„Tschernobyl-Bonus“ für Mastensäger

■ Erstes Urteil im Prozeß gegen „Strommastensäger“ / Zwei Jugendliche werden zu Jugendstrafen mit Bewährung verurteilt / Staatsanwaltschaft mußte den Tatvorwurf „Zerstörung von Bauwerken“ aufgeben

München (taz) – Im bundesweit ersten großen Prozeß gegen fünf jugendliche „Strommastensäger“ vor der Jugendstrafkammer des Landgerichts München II (s.taz v.16.2.88) wurden gestern der Schüler Georg B. (20) wegen Störung öffentlicher Betriebe zu einem Jahr und neun Monaten und sein gleichaltriger Freund Peter H. zu einem Jahr und drei Monaten sowie einem Jahr Führerscheinentzug verurteilt. Beide Haftstrafen wurden von Richter Klaus Pollack zur Bewährung auf drei Jahre ausgesetzt.

Da die beiden Jugendlichen nur an einer Aktion und zwar am Umsägen eines Strommastens in Monatshausen beteiligt waren, wurde ihr Verfahren abgetrennt. In seiner Urteilsbegründung hob Richter Pollack hervor, daß die Initiative zu dieser Tat nicht von ihnen ausgegangen sei. Wichtig für die Entscheidung des Gerichts war neben den „schwierigen persönlichen und familären Verhältnissen“ auch der Umstand, daß die Tat wenige Monate nach Tschernobyl durchgeführt wurde. Zu dieser Zeit sei die Diskussion, ob es legitim sei, gegen Atomkraft Gewalt gegen Sachen und Personen einzusetzen, „voll am Laufen“ gewesen. Die Staatsanwaltschaft forderte für den gelernten Zimmerer Peter H. eine Haftstrafe von einem Jahr und sechs Monaten ohne Bewährung und für den Fachoberschüler Georg B. eine Haftstrafe von zwei Jahren und drei Monaten. Als Hauptmotiv für die Tat unterstellten sie den Jugendlichen „Zerstörungswut“. Politische Motive wie etwa die „Betroffenheit nach Tschernobyl“ hätten nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Beiden attestierten die Staatsanwälte eine hohe Bereitschaft zu Gewalttaten. Immer wieder betonte Staatsan walt Veigl, daß bei derartigen Anschlägen durch den Stromausfall in Krankenhäusern das Chaos ausbrechen und die Bevölkerung „durch diese Terrorakte“ verunsichert würde.

Da sich an dem umgestürzten Strommasten eine begehbares Trafohäuschen befand, erweiterte die Staatsanwaltschaft zunächst den Tatvorwurf auf „gemeinschaftliche Zerstörung von Bauwerken“ nach § 305 der sog. „Antiterrorgesetze“. Die beiden Verteidiger der Angeklagten plädierten auf Strafen mit Bewährung. Sie verwahrten sich gegen die Behauptung, daß durch diese Tat Terror auf die Bevölkerung ausgeübt werden sollte.