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Archiv-Artikel

Trügerisches Idyll

Münster ist um ein Stück Geschichte reicher: Einzigartige Aufnahmen eines jüdischen Unternehmers aus den 30ern wurden zum Film verarbeitet

von NATALIE WIESMANN

Eine glückliche Kleinfamilie im 30er Jahre-Look, am Strand, beim Spaziergang im Grünen, auf dem Tennisplatz: Filmaufnahmen, die auch NS-Propaganda-Material hätten sein können. Doch der Schein trügt: Die Vorzeige-Familie auf dem selbstgedrehten Filmmaterial ist jüdischen Glaubens, es ist die des Münsteraner Unternehmers Siegfried Gumprich.

Dieser einzigartige Fund ist den Historikerinnen Gisela Möllenhoff und Rita Schlautmann-Overmeyer zu verdanken: Auf der Suche nach aus Münster emigrierten jüdischen Familien sind sie auf Sohn Walter Gumprich gestoßen, der ihnen nach längerem Briefkontakt das 40-minütige Zeitzeugnis zusandte. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe und WDR-Autor Markus Schröder haben daraus den 20-minütigen Film „Zwischen Hoffnung und Bangen - Filmaufnahmen einer jüdischen Familie im Dritten Reich“ gemacht.

In einem starken Kontrast zu den unbeschwerten Freizeitbildern stehen Standfotos aus dem braunen Münster der Nazi-Zeit und die pausenlose Kommentierung durch den Autor. „Die Einbettung in den historischen Kontext musste sein, sagt Markus Köster, Leiter des Westfälischen Medienzentrums. Denn das Material würde unkommentiert ein verzerrtes Bildabgeben. „Die Aufnahmen erwecken den Eindruck, alle jüdischen Familien seien reich gewesen, allen wäre es gut gegangen“, so auch der Kommentar des Autors im Film.

In Wirklichkeit kamen die Deutschen jüdischen Glaubens aus allen sozialen Schichten. Von den knapp 700 jüdischen Bürgern, die 1933 in Münster lebten, starben 84 bis 1939 zu Hause, 264 wanderten aus und 247 wurden ermordert. 28 der Münsteraner Juden überlebten die Deportation und von 74 ist das Schicksal ungeklärt.

Die Geschichte der Familie Gumprich dagegen ist nachvollziehbar: Sie war wohlhabend, anfangs zumindest. Der Getreidehändler wohnte mit seiner Frau Louise, Tochter des Textilhändlers Lefmann, und seinen Kindern Walter und Brigitte in der Grevener Straße 6 mitten in Münster. Nach Boykottaufrufen und diskriminierenden Verordnungen wie der Judenvermögensabgabe musste der Geschäftsmann schließlich verkaufen. gelang es der Familie erst in letzter Minute, drei Tage vor dem Kriegsbeginn nach England zu emigrieren. Im Film tauchen auch fröhliche Bilder des Münsteraner Rabbiner Julius Voos und seiner Frau Stephanie auf. Sie schafften es im Gegensatz zu den befreundeten Gumprichs nicht zu emigrieren: Im März 1943 haben die Nazis sie und ihren zweijährigen Sohn nach Auschwitz deportiert.

Überhaupt ist nichts in diesem Film, wie es scheint: Der Urlaub am holländischen Meer, so konnte man in einem Brief Siegfried Gumprichs an einen Freund lesen, hätte der Erholung von den Anfeindungen in Deutschland gedient. Und auch die Aufnahmen auf dem Tennisplatz sind irgendwie schief: Weil die jüdische Bevölkerung aus allen deutschen Sportvereinen ausgeschlossen wurde, mussten sie isoliert auf eigenen Plätzen spielen.

Die Frage stellt sich, warum Siegfried Gumprich den braunen Kontext in seinem Film ausließ. „Es war für die jüdische Bevölkerung zu gefährlich, nationalsozialistische Symbole zu filmen“, glaubt die beteiligte Historikerin Gisela Möllenhoff. Es ließe sich aber auch die vermuten, dass die aufgesetzte Idylle der Versuch war, trotz der schwierigen Situation nur schöne Erinnerungen an die Heimat Münster mitzunehmen.

Den Film gibt‘s beim Westfälischen Landesmedienzentrum, 48133 Münster oder unter medienzentrum@lwl.org