: Trouble im verquerten Ashram
Seit im Sommer 2020 in den Schützengräben der Demokratie auf dem Cannstatter Wasen das Freiheitsvirus ausgebrochen ist, befinden sich die „Querdenker“ im aktiven Widerstand gegen die Diktatur Angela Hitlers und dominieren neben dem ganz normalen Corona-Wahnsinn die täglichen Nachrichten.
Von Elena Wolf↓
Aufgeweckte! Erleuchtete! Leute, die gegen Ungerechtigkeit aufstehen! So wie Anne Brecht. Oder Bertolt Frank. Oder Sophie Schorlau, Jana aus Kassel, egal jetzt. Hochansteckend ist es, das Freiheitsvirus! Davor hatte Gründungsvater Michael Ballweg schon in seinem Initiationsschreiben gewarnt. So weit, so hihihi.
Damals konnte ja noch niemand ahnen, dass das Freiheitsvirus mutieren und aus einer kleinen Demo eine Anti-Merkel-Armee machen würde, die sich bundesweit organisiert und Deutschland über Nacht in „Schlafschafe“ und „Covidioten“ spaltet. Nicht mehr so hihi. Bis heute zerbrechen sich Soziologen und andere Schlaubis die Köpfe über das „Querdenken“-Phänomen, das Einhorn-Flüsterinnen neben Reichsbürgern neben Neonazis neben Hardcore-Christen neben Techno-Kids neben SUV-Muttis vom Killes- oder Prenzlberg zusammen auf die Straße gehen lässt. Spätestens als sich dann noch der Plüderhausener Unternehmer Thomas Hornauer, seines Zeichens königliche Hohlheit und gelangweilter Herrscher über Schwachmatien, in Position brachte, um mal wieder billig Aufmerksamkeit mit exzentrischen One-Man-Shows abzustauben, war klar: Wenn das „Team Demokratie“ sein soll, dann bin ich lieber „Team Diktatur“.
Denn um Demokratie und Grundrechte ging es den meisten „QuerdenkerInnen“ nie. Auch jetzt nicht. Im Grunde ist der „Querdenker“ an sich ein tiefreligiöses Subjekt, das mangels Ambiguitätstoleranz nicht in der Lage ist, ungewisse Zustände, Unsicherheiten, Widersprüchliches emotional auszuhalten, und sich deshalb einer höheren Wahrheit verschreibt. Am besten kollektiv. So funktioniert Kirche. So funktioniert Verschwörungstheorie. So funktionieren Sekten. Und so funktioniert „Querdenken“: Es gibt einen Führer. Es gibt AnhängerInnen. Und es gibt eine Menge Geld, die dem Führer bereitwillig in den Hals geschmissen wird, damit er seinen Followern das Gefühl von Kontrolle über eine aus den Fugen geratene Welt verkauft.
Der geniale Trick: Schenkung statt Spende
Daran wird auch der TV-Entertainer Jan Böhmermann nichts ändern können. Mit dem Fantasie-Preis „goldener Coroni“ zeichnete er „Querdenken“-Gründer Michael Ballweg im „ZDF Magazin Royal“ für seine überragende Performance als Corona-Unternehmer des Jahres aus und legte nach Recherchen von ZDF und „netzpolitik.org“ offen, wie sich Ballweg und andere Gurus der „Querdenken“-Bewegung systematisch bereichern. Auf der Website www.querschenken.company kann alles nachgelesen werden. Der geniale Trick: Schenkung statt Spende. Denn so kann man das Finanzamt austricksen – vielleicht.
Den Trick kannte auch schon ein Mann aus Indien, der als spiritueller Führer mit Steuerschulden in Millionenhöhe in die USA flüchtete und nach vielen Jahren Volksverblödung an Turbokapitalismus starb: Bhagwan Shree Rajneesh. Seine AnhängerInnen, die Sannyasins, schenkten ihm in den 1980ern ihr gesamtes Hab und Gut. Freiwillig. Er bereicherte sich an ihnen und fuhr die Bewegung am Ende aus schierer Habgier an die Wand. Nicht etwa, weil die Menschen plötzlich erkannten, wie bescheuert sie waren, diesem Menschenfänger Geld und Lebenszeit zu schenken. Sondern weil Finanzämtern gefühlte Wahrheiten irgendwelcher Spinner ziemlich scheißegal sind.
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