■ Trotz des Abkommens zwischen den bosnischen Kroaten und Muslimen darf der Druck auf die Serben nicht nachlassen: Ein halber Schritt für Bosnien
Präsident Clinton sprach einfach von „einem Moment der Hoffnung“, Präsident Izetbegović von „einem großen Tag für Bosnien-Herzegowina“, Präsident Tudjman vom „historischen Schritt“. Aber worin liegt die eigentliche Bedeutung des am letzten Freitag in Washington unterzeichneten bosnisch-kroatischen Abkommens über die Gründung einer Föderation Bosnien-Herzegowina und über deren konföderale Bindungen mit dem benachbarten Kroatien? Am meisten haben sich die USA um dieses Abkommen verdient gemacht. Seine Bedeutung hängt deshalb vor allem davon ab, was die US-Diplomatie als nächstes plant. Falls Washington die bosnisch-kroatische Übereinkunft so versteht, daß mit der Lösung der einen Hälfte der bosnischen Probleme nun der restliche Teil effektiver zu lösen ist, dann ist die Vereinbarung vielversprechend. Falls Ziel sein sollte, die Bosnier mit den Kroaten zusammenzuführen, um ihnen zu einem Zugang zur Adria zu verhelfen und um ihre Überlebensfähigkeit zu erreichen, gleichzeitig aber den Serben der größte Teil des von ihnen in Bosnien besetzten Landes gelassen wird, dann dürfte das zu weiteren Jahren der Unsicherheit führen – nicht nur in Bosnien, sondern auf dem gesamten Balkan.
Das bosnisch-kroatische Abkommen hat sicherlich seine Vorteile. Erstens beendet es den tragischen Kampf zwischen „Bosniaken“ – so heißen die bosnischen Muslime nach der neuen Vereinbarung – und Kroaten. Zweitens öffnet das Abkommen die bosnischen Straßen, damit humanitäre Hilfskonvois die Städte Zentralbosniens erreichen können. Drittens wird hiermit ein grundsätzlicher Rahmen für Bosniaken und Kroaten sowie für alle anderen Gebiete mit einer entweder bosniakischen oder kroatischen Mehrheit geschaffen. Das Ziel ist, so in einem multiethnischen, multireligiösen und multikulturellen Bosnien weiter zu leben, wie dies jahrzehntelang geschah, bevor die serbische Aggression 1992 begann. Viertens wird durch die internationale Garantie von Menschenrechten und durch die Pläne für den Wiederaufbau des Landes auch eine Tür für die bosnischen Serben offengehalten, sich an dem Friedensprozeß zu beteiligen.
Natürlich müssen noch die tiefen Wunden aus dem fast ein Jahr dauernden Krieg zwischen Kroaten und Bosniaken beseitigt werden. Einige Vorfälle wie die von kroatischen Soldaten verübten Massaker an Zivilisten in Ahmici oder Stupni Do, die Belagerung von Mostar und die Zerstörung seiner historischen „Alten Brücke“, die Konzentrationslager in Dretelj und beim Heliodrom und all die individuellen Verbrechen bosnischer Armee-Einheiten gegen die Zivilbevölkerung verlangen nach Gerichten, die solche Kriegsverbrechen ahnden. Nur so können die Hoffnung und der Glaube bei Menschen wiedererweckt werden, die so viel ertragen mußten.
In der Zeit, in der sich die neuen Verhältnisse erst konsolidieren müssen, dürfte es außerdem sehr wichtig sein zu verhindern, daß durch Gewaltaktionen der Entscheidungsprozeß beeinflußt und der Einigungsprozeß gestört wird. Von daher war es unklug, daß auch Vertreter der selbsternannten „Kroatischen Vereinigung Herceg-Bosna“ in Washington zusammen mit den Präsidenten aus Bosnien und Kroatien das Abkommen unterzeichnet haben. Denn es handelt sich hierbei genauso um einen „Staat im Staat“ wie bei der selbsternannten „Serbischen Republik“, durch die der ganze kroatisch- bosnische Konflikt erst ausgelöst wurde.
Trotz allem Für und Wider: Das Abkommen von Washington ist zur Hälfte zumindest ein historischer Schritt für Bosnien – ein erster halber Schritt also, der zweite halbe muß noch folgen.
Wie aber soll man mit der anderen, viel komplizierteren Hälfte des Problems umgehen? Serbien hat immerhin etwa 70 Prozent des Gebiets von Bosnien-Herzegowina besetzt. Die Art und Weise, wie Serbiens Artillerie zum Schweigen gebracht und ein Teil der Straßen Bosniens mit relativ geringem militärischem Druck geöffnet werden konnte, zeigt den Weg. Nicht ein massives Aufgebot von Bodentruppen ist notwendig, sondern mit nur ein paar symbolischen Demonstrationen der Macht, mit Entschlüssen wie kürzlich das Ultimatum der Nato oder mit dem Abschuß von vier serbischen Flugzeugen nach Verletzung der Flugverbotszone werden die Serbenführer dazu gebracht, internationales Recht zu beachten. Die Welt hat also ein Instrumentarium in der Hand, mit dem sie die Serben dazu bewegen kann, sich ernsthaft an dem von der USA initiierten Friedensprozeß zu beteiligen. Das beste dürfte sein, den diplomatischen Druck – also konsequente Nichtanerkennung serbischer Eroberungen und gewaltsam durchgesetzter Grenzveränderungen – mit wirtschaftlichem Druck zu verbinden, also der Aufrechterhaltung von Sanktionen, solange sich Serbien weigert, dem Friedensabkommen beizutreten. Aber auch militärischer Druck ist weiterhin vonnöten: Es muß glaubwürdig mit dem Einsatz militärischer Gewalt gedroht werden, um die Belagerung bosnischer Städte zu beenden, und ebenso muß die Option offengehalten werden, die Bosnier zu bewaffnen, falls alle Friedensinitiativen scheitern. Unbedingt muß darauf gedrängt werden, daß die Kriegsverbrechen strafrechtlich verfolgt werden. Nur so können Hunderttausende Bosnier, die aus ihrer Heimat geflüchtet sind, den Glauben an Gesetz und Gerechtigkeit wiedergewinnen, was eine Voraussetzung für ihre Rückkehr ist.
Alles andere, auch der Gedanke, den Serben einen Teil der besetzten Gebiete abzuhandeln, den anderen Teil ihnen aber zu überlassen, würde dem serbischen Expansionismus nur entgegenkommen und ihm helfen, seinen Traum von einem „Großserbien“ zu verwirklichen. Auch die „ethnischen Säuberungen“ und andere von Serbien begangene Verbrechen würden im nachhinein gerechtfertigt. Mehr noch würden durch solches Gewährenlassen die ultrakonservativen Kräfte auf dem Balkan und in den Republiken der früheren Sowjetunion dazu angeregt, die Grenzen mit Gewalt zu verändern. Wenn diese Art von Gesetzlosigkeit in Bosnien zugelassen wird, hätte das einen Zustand der Instabilität für viele Jahre zur Folge. Deshalb brauchen wir unbedingt den zweiten halben Schritt. Kemal Kurspahić
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