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Archiv-Artikel

Tropenkoller

FIEBERTRÄUME In den Abgründen der Kolonialgeschichte findet die Berliner Künstlerin Peggy Buth reichen Stoff für ihre Ausstellung im Württembergischen Kunstverein Stuttgart

Peggy Buth lenkt den Blick auf die Leerstellen der musealen Präsentation der Kolonialgeschichte

VON MAIK SCHLÜTER

„Desire in Representation“ nennt Peggy Buth ihre erste Einzelausstellung im Württembergischen Kunstverein. Buth, 1971 in Berlin geboren, beschäftigt sich in ihren Arbeiten mit den gesellschaftlichen Aspekten von Macht, Hierarchie, geschlechtsspezifischen Rollenzuschreibungen und sozialen Abhängigkeiten. Die Künstlerin, die an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig und am Saint Martins College in London studierte, arbeitet mit unterschiedlichen Mitteln wie Skulptur, Installation, Malerei oder Fotografie. In Stuttgart gelingt ihr eine Gesamtinstallation, die sich über 11 Räume erstreckt und die sich zu einem beeindruckenden Exkurs über die Untiefen der belgischen Kolonialgeschichte verdichtet.

Die seit 2005 tätigen Direktoren Hans D. Christ und Iris Dressler beweisen mit dieser Ausstellung erneut, dass die weitläufigen Räume mit der richtigen Konzeption überzeugend gefüllt werden können. Der Besuch der Ausstellung gleicht einer Reise in das Herz der Finsternis von Belgisch-Kongo und zeigt die emotionalen, intellektuellen und kulturellen Verwüstungen, die der Kolonialismus angerichtet hat.

Buths Arbeiten sind poetisch, formal eigenständig und geprägt von einer klugen Selbstreflexion. Die Besucher werden weder mit bekannten Antworten noch mit plattem Moralismus gelangweilt. Die Ausstellung beginnt mit der Videoarbeit „O, My Kalulu!“ (2009), die sich über fünf Räume verteilt und deren einzelne Sequenzen den Rahmen für die gesamte Konzeption bilden. Im Film geht es um die Beziehung zwischen dem arabischen Sklaven Selim und dem afrikanischen Prinzen Kalulu. Der britisch-amerikanische Journalist Henry Morton Stanley, der im Auftrag des belgischen Königs Leopold II. den Kongo bereiste, beschreibt in seiner 1874 veröffentlichen Novelle deren Leben, bringt aber in erster Linie seine sexuellen und kulturellen Projektionen zum Ausdruck. Buth betont die homoerotischen Aspekte der Novelle und konterkariert damit das verklemmte, prüde, christliche und fundamentalistische Selbstbild der weißen Kolonialherren. Sie waren mit christlich-missionarischem Eifer in Afrika einmarschiert, um den vermeintlich Wilden eine neue segensreiche Kultur bringen.

Schwärmen von Üppigkeit

Nicht nur Ausbeutung und Unterdrückung wurden durch diese verlogene Mission gerechtfertigt, auch die eigenen Abgründe wurden kanalisiert. Buth beschreibt in der Videoarbeit die utopischen Wünsche sexueller und kultureller Freiheit und die männlichen Riten in Bezug auf Jagd, Eroberung, Handel, Besitz oder Herrschaft. In „Untitled (Archive)“ (2009), kommt ein weiterer Kolonialreisender zu Wort: Robert Müller, der den expressionistischen Roman „Die Tropen“ (1915) verfasst hat. Man hört die gebrochene Stimme eines Vorlesers, der zu projizierten historischen Fotografien von tropischen Landschaften, die Spuren der Kolonialisierung tragen, Auszüge aus dem Buch vorträgt. Der Protagonist der Erzählung schwärmt von üppiger Vegetation und verfügbaren Frauen und verliert allmählich die Selbstbeherrschung. Sein zivilisatorisches Antlitz verschwindet hinter Vergewaltigung und exzessiver Gewalt. Vom Tropenkoller befallen ist der weiße Herrscher seinen Triebkräften ausgeliefert.

Trotz der Erfahrung emotionaler und intellektueller Entgleisung wird die Geschichte der Kolonialisierung in den europäischen Museen positiv dargestellt. Das zeigt Buth in der 70-teiligen Fotoarbeit über das Königliche Museum für Zentralafrika in Tervuren bei Brüssel. Die Trophäen werden katalogisiert und der eigenen Kultur einverleibt. Eigentlich sind alle furchtbar stolz auf die vielen exotischen Exponate, der Besucher staunt über die wundersamen Reisen in ein unbekanntes Land zu einer fernen Zeit. Buth lenkt den Blick auf die Leerstellen der musealen Präsentation.

Gedenkkultur wird auch in ihren großen Skulpturen thematisiert. Wie Beton muten die grauen Styroporkuben an. Mit grauer oder schwarzer Teerfarbe bemalt, wirken sie eher wie düstere Monolithen der Verdrängung denn als Gedenksteine der Eroberung. Wenn Buth eine Installation mit „Listeners & Typewriters“ (2009) betitelt und alte Schreibmaschinen auf Sitzbänken aufreiht, dann wird deutlich, dass es den Kolonialisten um die Bekehrung zum Wissen und zur Sprache ging. Die Wilden sollten alphabetisiert werden, um anschließend brav die Bibel lesen zu können. Auch Selim, der gebildete Sklave, möchte den wilden Kalulu aus dem dunklen Moloch der Sprachlosigkeit und des Nichtwissens ziehen.

Verklärung

Aber die sogenannte Hochkultur schützt nicht vor Irrtümern, Angst und Fieberträumen: Die große Buchwand „Untitled (Library)“ (2009), die den Abschluss der Ausstellung bildet, zeigt die triviale Verschränkung von Exotismus und Rassismus. Die Buchtitel sprechen Bände: „Männer, Fahrten, Abenteuer“, „Führen oder wachsen lassen“, „Weiße unter der Tropensonne“, „Als Deutscher Arzt unter schwarzen Medizinmännern“ oder „Ins dunkle Afrika“. Es sind die alltäglichen Varianten der Verklärung aller Grausamkeiten und Paradoxien des Kolonialismus, die hier zum Ausdruck kommen und die bis in die Gegenwart reichen.

■ Württembergischer Kunstverein, Stuttgart, bis 3. Januar 2010 ■ Künstlerbuch (2 Bde., Jan van Eyck Academie, Maastricht), 65 €