: Trötende Dreckschleudern
■ Die Autohupe als emotionales Ausdrucksmittel
Die Autohupe als emotionales Ausdrucksmittel?
Das Comeback des deutschen Nationalstolzes hat ihn auch veranlaßt, dem Vorwurf des ewig ernsten, dem Ausdruck der Freude nicht Fähigen zu begegnen. Also, flugs über die Grenze zu den Italienern geschaut, denen wir uns seit der WM ja sowieso so verbunden fühlen. Und was sehen (hören) wir im freudetaumelnden Rom? Nichts als den Lärm von Autohupen!
Warum sind wir da nicht schon viel früher draufgekommen, des Deutschen zweite Haut, sein liebstes Kind, sein erstes soziales Ausdrucksmittel, zu benutzen, um Freude zu zeigen.
Bisher dachten ja alle, die Menschen wären - abgesehen von Kleinigkeiten - alle gleich: Überall auf der Welt zeigen Tränen Traurigkeit und ein Lächeln Freundlichkeit an. Doch seit dieser WM wissen wir: Auch hier ein Zwei-Klassen -System! Der moderne westliche Autobesitzer braucht keinen Gesichtsmuskel mehr zu verziehen (keine unschönen, aufs Alter hinweisende Falten mehr), ein Druck auf das Lenkrad seines Autos, je nach Größe der Freude kürzer oder länger, und alle wissen Bescheid. Der Individualisierungstrend hat ein neues Gebiet erobert. All die unnötigen, so arg anstrengenden, direkten Arten zu kommunizieren, die Nähe des anderen, die Notwendigkeit des differenzierten Aufeinandereingehens, die Möglichkeit eines Gesichtsverlustes (sic!) durch einen falschen Ton, all das fällt weg. Was bleibt, ist ein standardisiertes Geräusch. Freuen - ja oder nein, Freund oder Feind, Hupen oder Nichthupen, es gibt nichts dazwischen, und beim Hupkonzert mit Gleichgesinnten braucht man nicht einmal sein Gesicht zu zeigen, mann erkennt sich an der Automarke und am Nummernschild. Der moderne Freudentaumel vollzieht sich in aller Ruhe und Einsamkeit in der hermetisch abgeschlossenen Stahlhülle eines mobilen Raumes. Man freut sich mit anderen und braucht trotzdem sein heimisches Revier nicht aufzugeben.
Deutschland freut sich, schreibt die 'Bild'-Zeitung - ich habe nur trötende Dreckschleudern gehört. Armes Deutschland.
F.Reese, Marburg/BRD
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