: Tritt Ligatschow gegen Gorbatschow an?
■ Konservativer Gegenspieler strebt offensichtlich an die Spitze der Partei / Sollte der Coup gelingen, droht eine Spaltung der KPdSU / Radikalreformer aus Moskau und Leningrad wollen nicht automatisch und ungefragt in die neue russische KP übernommen werden
Moskau (ap) - Der konservative Gegenspieler von Michail Gorbatschow im Politbüro der sowjetischen KP, ZK-Sekretär Jegor Ligatschow, will auf dem am 2. Juli beginnenden Parteitag der KPdSU gegen den Generalsekretär in den Ring steigen. Wladimir Lyssenko, der als Repräsentant der in der „Demokratischen Plattform“ vereinten Radikalreformer erfolglos für das Amt des Ersten Sekretärs der russischen KP kandidiert hatte, teilte mit, Ligatschow habe vor Delegierten des russischen Parteitages erklärt, daß er auf dem Parteitag der sowjetischen Mutterpartei bei der Wahl der künftigen Parteiführung gegen Gorbatschow antreten werde.
Politbüromitglied Vadim Medwedew, der als ZK-Sekretär die Kommission für ideologische Arbeit beim KPdSU-Zentralkomitee leitet, erklärte am Wochenende, daß es noch zu früh sei, um zu sagen, ob Gorbatschow bei einer Spaltung der Partei mit den Radikalen oder den Konservativen gehen werde. Im Augenblick werde darum gekämpft, gerade diese Spaltung abzuwenden.
Lyssenko prophezeite den völligen Bruch der Partei für den Fall, daß die Konservativen den „Zentristen“ um Gorbatschow die Führung entreißen sollten. Er teilte weiter mit, daß führende Radikalreformer aus den Parteiorganisationen in Moskau und Leningrad außerordentliche Konferenzen erwögen. Dabei wollten sie sich dagegen verwahren, als russische Mitglieder der KPdSU automatisch Mitglieder der neu ins Leben gerufenenen Kommunistischen Partei Rußlands geworden zu sein. Nach Ansicht der Radikalreformer ist die russische KP bereits fest im Griff der Konservativen.
Der Gründungsparteitag der Kommunistischen Partei Rußlands hat in einer zum Abschluß seiner ersten Etappe angenommenen Resolution unverhohlen Mißfallen über den Zustand der sowjetischen Mutterpartei und damit an Gorbatschow zum Ausdruck gebracht. „Es muß festgestellt werden, inwieweit Mitglieder des Zentralkomitees und des Politbüros sowie leitende Parteimitglieder für die begangenen Fehler persönlich verantwortlich sind“, heißt es in der am Sonntag im Wortlaut veröffentlichten Entschließung.
Der russische Parteitag wird nach dem am 2. Juli beginnenden Parteitag der KPdSU fortgesetzt. Die Lage im Lande und in der Partei sei krisenhaft und erfordere Sofortmaßnahmen zur Herbeiführung staatsbürgerlichen Einvernehmens sowie zur Konsolidierung und Erneuerung der Gesellschaft, erklärte der Parteitag. Ursache seien eine starke Deformation des Sozialismus in der Periode des Totalitarismus und der Stagnation, objektive Schwierigkeiten der Übergangszeit sowie Fehler und Irrtümer bei der Durchführung der Reformen während der Perestroika.
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