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Archiv-Artikel

Trinken in Helsinki

Wenig trinken lohnt sich nicht, dafür sind Bier und Drinks viel zu teuer. Gebrauchsanweisung für einen alkoholisierten Streifzug durch die Nacht

BIER MIT AUSSICHT

Trinken und zugleich den schönsten Überblick über Helsinki genießen – vom Dach des Jugendstilhotels Torni. Von der Ateljee-Bar im 13. Stock gucken Sie auf die Schmuckstücke der finnischen Hauptstadt, auf die grün leuchtenden Kuppeln des weißen Doms oder auf die vergoldeten Spitzen der Uspenski-Kathedrale. Ein kleines Bier kostet 6,60 Euro. Der Aufstieg lohnt schon allein wegen der schönsten Toiletten der Welt: 70 Meter über der Stadt, verglast. Und doch sieht einen niemand. HG

VON HANNA GERSMANN

Trinken Sie wie die Finnen! Diese Vorstellung macht Ihnen Angst? Sie haben die Filme von Aki Kaurismäki gesehen. Und nun haben Sie alles andere als eine heitere Bierrunde vor Augen, sondern grauenvoll gekleidete Sonderlinge und schwermütig verkrampften Alkoholmissbrauch? Es kommt auf einen Versuch an, machen Sie sich ein Bild – und einen Pubcrawl in Helsinki. Immerhin lebt und vergnügt sich jeder zehnte Finne in der Hauptstadt. Fangen Sie behutsam an.

Der Finne Jorma Railonkoski macht den Start einfach. Der kräftige Mittfünfziger hat vor Kurzem einen Pub eröffnet, der das Hofbräuhaus von Helsinki werden will. Der Name: Rymy-Eetu, auf Deutsch: der lärmende Ewald. In Helsinki ist er derzeit das Stadtgespräch. Sie können sich dort auf eine dunkle Holzbank pflanzen, für 6 Euro ein deutsches Weißbier bei der Bedienung im Dirndl bestellen und den Schuhplattler hören. Sehen Sie über zwei Fehler hinweg.

Fehler Nummer eins: Es gibt neben Brathendeln und Haxen auch Currywurst. Natürlich hat die Berliner Wurstkreation im Hofbräuhaus nichts zu suchen. Railonkoski aber erzählt, dass er noch nie in Deutschland war und dass er das nicht wissen konnte. Er meint: „Die Gäste wollten Currywurst, also haben wir sie.“

Fehler Nummer zwei: Es geht nicht bierselig gemütlich zu. Fast jeder Platz kann besetzt sein. Doch mancher finnische Gast sitzt nur dort, nimmt ab und an einen Schluck vom Getränk und starrt vor sich hin. „Wir reden nur, wenn es etwas Wichtiges gibt – und wichtig ist selten“, sagt Railonkoski. Zugegeben, das Rymy-Eetu bedient das finnische Klischee perfekt, der Besuch lohnt aber trotzdem, vor allem wegen der Toilette.

Dort zeigt sich: Wenn Finnland ein Imageproblem hat, dann hat Deutschland erst recht eins. Wer sich in Railonkoskis Pub aufs Klo setzt, hört einen finnisch-deutschen Sprachkurs mit Sätzen wie „Vielen Danke!“ – „Haben Sie sich nicht verrechnet?“ oder: „Salaten haben wir nicht!“ Die Grammatik ist herrlich unzureichend. Vielsagender allerdings ist der aggressive Ton. Eine tiefe Männerstimme rollt das „R“ stark, betont jeden Buchstaben einzeln. Finnen verbinden Deutschland mit Stechschritt und Verbissenheit.

Auch die billige Variante des Alkoholkonsums kann schön sein. Allein: Sie sollten vor neun Uhr abends einen Laden betreten, die Alkoholvorräte sind sonst hinter Gitter weggeschlossen. Alkohol ist in Finnland Todesursache Nummer eins. Fast jeder fünfte Mann, gut jede zehnte Frau sterben daran. Die Regierung versucht das zu ändern. Harten Alkohol verkaufen Ihnen darum auch nur besondere staatliche Geschäfte, die „Alkos“.

Finnen kaufen dort zum Beispiel ihren „Kossu“. Zu dem 38-prozentigen Branntwein, der eigentlich Koskenkorva heißt, pflegen sie ein inniges Verhältnis. Als die Staatliche Branntweinfabrik Anfang 2000 an einen ausländischen Konzern verkauft werden sollte, gab es einen Volksaufstand – mit Erfolg. Jedermanns Geschmack ist der Kossu jedoch nicht.

Sie können sich genauso gut mit einem Zwölferpack Bier versorgen, den Finnen einen „märäkoira“ nennen, was „Dackel“ heißt. Ihre Massenbiere, das sind Lapin-Kulta, Koff oder Karhu, ähneln den deutschen Lagerbieren. Zu langweilig? Dann greifen Sie zum finnischen Kultgetränk in silbrig-blauer Dose – dem „Lonkero“. Dieser „Tentakel“ ist eine Mischung aus Gin und Grapefruit. Der Büchsen-Longdrink kam 1952 auf den Markt, als die Olympischen Spiele in Helsinki stattfanden und es für die vielen Gäste einfach noch viel zu wenig Kneipen gab.

Finnen finden, dass es sich nicht lohnt, nur ein bisschen zu trinken. Bier und Drinks sind teuer – warum sollte man es bezahlen, wenn man keinen Rausch bekommt? Als Alkoholiker gelten diejenigen, die jeden Abend ein Glas Wein zum Essen trinken oder das Feierabendbier vor dem Fernseher. So gehört zum ordentlichen finnischen Pubcrawl auch der Hang-over am nächsten Morgen.

Also laufen Sie weiter! Etwa in Aki Kaursmäkis Bar Corona und seiner Moskova Bar nahe dem Design-Viertel der Stadt. Die Typen, die dort an der Bar abhängen, haben mit seinen Filmen allerdings gar nichts zu tun: Es sind nicht die Loser, sondern die Schauspieler und Stars der Stadt.

Einen Dresscode gibt es nicht. Etepetete zu sein, das passt nicht zur finnischen Gesellschaft, in der das Siezen weitgehend abgeschafft ist und jeder die Schuhe auszieht, wenn er ein Haus betrifft. Die hippen Clubs, die denen in Berlin oder München ähneln, gibt es zuhauf. Wer es finnischer mag, geht allerdings in St. Urho’s Pub, ganz in der Nähe des Parlaments.

Der „lärmende Ewald“ ist derzeit das Stadtgespräch in Helsinki

Dort soll der legendäre finnische Staatspräsident Urho Kalevo Kekkonen in seiner Zeit als Jurastudent getrunken haben. Die Kneipe heiligt ihn mit ihrem Namen. Der Personenkult ist fast unangenehm. Doch Finnland ist klein. Und als Kekkonen 1956 bis 1981 amtierte, war die Sowjetunion übermächtig. Er lavierte zwischen den Blöcken Ost und West. Westeuropäer haben das zwar oft nicht verstanden, die meisten seiner Landsleute aber haben Kekkonen dafür bewundert. Fragen Sie nach!

In der finnischen Kneipe kommt man erstaunlich leicht ins Gespräch. Fast jeder spricht Englisch. Wer ihre Sprache lernen will, den halten die Finnen für verrückt. Tatsächlich hat sie mit Deutsch oder Englisch nichts zu tun, weil sie zu den finno-ugrischen Sprachen gehört. Man braucht Jahre, um sie zu verstehen. Nur selten ist es so einfach wie bei der Bar: „Baari“ oder bei Prost: „Kippis“. Schon, wenn Sie die „nächste Runde“ bestellen wollen, wird es schwieriger: „Yhdet vielä!“

Ihnen ist nicht mehr nach Bier? Dann trinken Sie einen Kaffee. Kaffee ist ohnehin das wahre Nationalgetränk. Jeder Finne trinkt am Tag rund vier Becher – Weltrekord. Kaffee steht in den Bars in großen gläsernen Kannen für Stunden auf Wärmeplatten. Ungenießbar? Munter macht er auf jeden Fall, und Sie haben noch einiges vor.

Selbst werktags haben viele Bars bis morgens um vier auf. Wenn Sie in eine der landesweit 2.000 Karaokebars gehen, werden Sie mit besonders gelösten Menschen zusammenkommen. Für Sie kommt „Yes Sir, I Can Boogie“ von Baccara in Frage. Oder: „Take me home, Country road“ von John Denver. Überspringen Sie die finnischen Schlager, wenn Sie ihr Lied aus der Songliste wählen. Ihr Liedtext taucht prompt auf dem großen Bildschirm an der Wand auf, unterlegt mit kitschigen Naturbildern: Wasser, Schären, Wald. Nehmen Sie das Mikro nah ran an den Mund, wiegen Sie sich hin und her. Singen Sie, als wären Sie bei „Finnland sucht den Superstar“. Keine Sorge: Die anderen treffen den Ton auch nicht.

Dabei haben sie sicher mehr geübt als Sie. Denn die Finnen tragen nicht nur die Weltmeisterschaft im Handy-Weitwurf und Frauen-Weittragen aus, sondern auch im Karaoke-Singen. In der Stadt fahren Taxen mit Disko-Ausstattung rum: Die Fahrt im silbernen Kleinbus, bestückt mit Mischpult und CD-Kisten, kann man im Internet vorbestellen. Es gilt der normale Taxipreis. Fahren Sie damit – nach Hause!