Triebdichter — Texterbrecher

■ André Marcon gastiert mit „L'Inquietude“, einem Ein-Personen-Stück von Valère Novarina

André Marcon in Valère Novarinas „L'Inquiétude“Foto: Institut Francais

Valère Novarina, „die größte Hoffnung des französischen Theaters“ (Bernd Sucher, SZ), ist ein Triebdichter. Einer, der sich nicht seinen Plan macht, der nicht ein großes Licht sein will, sondern stattdessen manchmal schreibt. Nicht wirklich regelmäßig, nicht wirklich viel, nicht mehr als fünf Seiten am Tag, und an manchen Tagen auch gar nicht. Manchmal Wochen, Monate, Jahre lang nicht. Dann malt er vielleicht, nach einer ähnlichen Methode, ungeplant, kontrolliert nur von seiner Intuition, die sich nicht kontrollieren läßt. Grad so, wie es ihn überkommt. Er schreibt, so sagte er einmal, als würde ihm diktiert.

Valère Novarina ist nicht irgendein Dödel. Kein vertrottelter Hobby-Poet oder Barfußschreiber. Was er schreibt, macht

mann, einsam

auf Bühne

Sinn. Seit seine Bücher, acht sind es mittlerweile, in einem renommierten Literatur-Verlag erscheinen und das Theaterfestival in Avignon seine merkwürdigen Stücke aufführen läßt, gilt er als einer der aufregendsten Autoren Frankreichs. Ein musikalischer Schreiber, der die französische Sprache mit ihren vielfältigen Klangpotentialen so behandelt, als wäre sie sein Instrument. Sie sei, so sagt er, die schönste Sprache der Welt, weil sie Zirkusgriechisch, Kirchenjargon, Schnörkellatein, verkapptes Englisch, Argot am Hofe, verkommenes Sächsisch, provenzalisches Pikardisch, weichdeutsch und verkürztes Italienisch in sich vereine. Seine Texte entstehen aus diesen klanglichen Visionen, er erhört sich die Klänge, die Rhythmen der Sprache, und ge

nau so schreibt er. Kleine Symphonien des Sprachklangs.

Die folgen nur den Gesetzen der Grammatik, nicht jenen des rationalen Diskurses. Novarina bildet nicht ab, er beschreibt nicht Erscheinungen aus einer wirklicheren realen Welt, sondern er schreibt, er bildet, er schafft eine wirkliche, künstliche Welt. Eine Welt aus dem Geist der Sprache. Am Anfang war das Wort. Konsequenterweise schätzt Novarina die Bibel als eines der wichtigsten Bücher überhaupt. Mit Gott dagegen hat er nicht so viel vor.

Musik muß klingen, um zu wirken. Ebenso ist es mit der Sprache, wenn sie so musikalisch erdacht ist wie diejenige Novarinas. Schon deshalb pflegt Novarina einen sehr engen Kontakt zu den Schauspielern, die seine Stücke aufführen. Mit Andre Marcon, der das Ein-Personen- Stück „L'Inquietude“, beim letztjährigen Pariser „Festival d–Automne“ zu einem der Festivalereignisse machte, ist er beispielsweise befreundet. Novarina geht es bei der Darstellung seiner Stücke nicht um klinisch astreine, ätherische Auffassungen der Schauspielkunst, sondern genau um das Gegenteil, darum, mit den Lebendigkeiten der menschlichen Figuren der Körper, die Schauspieler sind, die Novarinas Sprach-Welt nachzuschaffen. Andre Marcon kann das. Der Theaterkenner Bernd Sucher schreibt in der Süddeutschen Zeitung: „Marcon ist der ideale Novarina- Schauspieler: Er rezitiert nicht, er belebt die Worte, er singt sie, er frißt sie — und erbricht sie wieder: Der Mensch alleingelassen, auf der Suche nach einem Sinn in einer sinnentleerten Welt, erfindet Worte und damit ein neues Universum. Im leeren Raum erfindet Marcon eine Heimstatt, aus Sprache geschaffen.“ step

Schauspielhaus, So., 14.2., 20 Uhr