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Archiv-Artikel

Treck nach Osten

Immer mehr Deutsche zieht es ins Ausland. Nach den USA und der Schweiz liegt kurioserweise Polen im Trend

BERLIN taz ■ Die Zahlen des Statistischen Bundesamts sprechen eine deutliche Sprache. Noch nie in der Nachkriegszeit haben so viele Bürger Deutschland dauerhaft den Rücken gekehrt. 150.667 waren es im Jahr 2004. Die hohen Zahlen sind nicht nur auf Wissenschaftler zurückzuführen, die zu Forschungszwecken nach Amerika gehen. Fachkräfte wandern auch in andere europäische Staaten ab. Interessanterweise lag Polen 2004 auf Platz drei der Liste der beliebtesten Auswanderungsländer – nach den USA und der Schweiz.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts wanderten im vergangenen Jahr 9.658 Deutsche in den neuen EU-Mitgliedsstaat aus. Was genau sie dorthin treibt, ist schwer zu erklären. Bisher gibt es nur Hypothesen.

Einige ziehen mit ihrem Betrieb in unser Nachbarland. Bereits seit Mitte der 1990er-Jahre haben sich vermehrt deutsche Firmen in Polen angesiedelt. Mehr als tausend Unternehmen haben inzwischen auch in Polen einen Firmensitz. Doch deren Mitarbeiter sind meist Einheimische. „Deutsche Mitarbeiter haben wir nur in der Werkleitung und eventuell in der Vertriebsgesellschaft“, erklärt Hannelore Bormann, Sprecherin der Firma Bosch, die in Polen Bremsenkomponenten herstellt. In der Produktion beschäftigen Großunternehmen wie Bosch fast nur Polen.

Neben deutschen Führungskräften, deren Firmen sich in Polen niedergelassen haben, handele es sich bei den Auswanderern offenbar vor allem um polnischstämmige Deutsche, die nach Polen zurückkehren, so Edda Currle vom Europäischen Forum für Migrationsstudien der Uni Bamberg. Viele Firmen gerade in der deutsch-polnischen Grenzregion suchen zweisprachige Mitarbeiter, die zusätzlich über gute Englischkenntnisse verfügen. Oft sind es gerade die hochqualifizierten Rückkehrmigranten aus westlichen Ländern, die genau diese Anforderungen erfüllen.

Handelt es sich bei den Migranten um Spätaussiedler zum Beispiel aus Schlesien, so verfügen sie in der Regel über die doppelte Staatsbürgerschaft. Dies mag auch erklären, wieso von den knapp 10.000 Deutschen, die jedes Jahr nach Polen auswandern, in der polnischen Statistik nur noch rund 2.500 Deutsche ankommen. Die Überzahl würde nach dieser These schlicht als polnische Rückkehrer gezählt und nicht als Deutsche.

Ein weiterer Prozentsatz könnte schlicht aus Menschen bestehen, die zwar in Polen wohnen, aber nach wie vor in Deutschland arbeiten und jeden Tag zur Arbeitsstelle ins Nachbarland reisen. „Es gibt viele Pendelmigranten“, erklärt Edda Currle. Das hat ganz praktische Gründe. Die Arbeitslosigkeit in Polen ist zwar höher als in Deutschland, dafür sind aber die Lebenshaltungskosten wesentlich geringer. In Deutschland das Geld verdienen, im Nachbarland einkaufen, essen und schlafen – da lässt es sich auch von den niedrigen Löhnen in den neuen Bundesländern noch gut leben.

SARAH MERSCH