■ Traumbild Tempodrom verspielt: Grüner worst case
Prinzipien sind ehrenwert. Prinzipienreiterei hingegen ist kleinlich und lächerlich dazu. Im Konflikt um die Standortsuche für ein neues Tempodrom am Anhalter Bahnhof haben sich die Kreuzberger Alternativen als Prinzipienreiter erwiesen. Bis zuletzt wehrten sie sich gegen den Bau der Zirkus- und Musikarena mit Argumenten aus der grünen Grundsatzkiste, die nicht einmal die eigene Klientel verstand. Und wer nun, nach dem Kreuzberger BVV-Beschluß für die Ansiedlung der Music Hall am Anhalter Bahnhof, von „worst case“ spricht wie der dunkelgrüne Fraktionsvorsitzende Franz Schulz, macht nur Panik. Denn die verwilderte Eisenbahntrasse ist alles andere als ein wertvolles Biotop. Von einer „dramatischen Verdichtung“ der südlichen Friedrichstadt kann keine Rede sein. Und einfältig ist, wer als Retter der Vegetation im harten, jahrelangen Kampf gegen den Beton die Chancen ökologischer Erneuerung verspielt.
Sicher, der Strieder-Vorstoß für den Standort Anhalter Bahnhof hat die Alternativen kalt erwischt. Um so mehr hätten sie dort das Öko-Tempodrom zu ihrer Sache machen müssen. Nichts wäre einfacher gewesen: denn das neue Tempodrom ist ein Bild ihres Traums. Die Architektur der ovalen Energiearena aus Ziegelwänden, Holz und Sonnensegeln, die aus der Erde herauswachsen und in einer Solarkuppel enden, klingt nach einer grünen baulichen Programmatik. Einsparungen der Ressourcen und Kollektoren sollen ein übriges dazu tun. Über Glassegel, mit Windmaschinen und Regenwassernutzung will man für das Haus elementare Kräfte anzapfen. Mit geschätzten 13 Millionen Mark setzt sich der Bau ab von den Dimensionen energieverschlingender Veranstaltungssaurier wie dem ICC oder der Deutschlandhalle. Darauf hätten die Grünen setzen müssen. Dies einzufordern wird ihnen nun sehr schwer fallen. Rolf Lautenschläger
Siehe Bericht auf Seite 22
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