: Traum, Rausch und Maske
Die Garbo war eines der exquisitesten Produkte des goldenen Zeitalters von Hollywood. Sie war Glamour pur. „Ein Gesicht wie Michelangelos Pietà“, sagte ihre Kollegin Louise Brooks
VON CLAUDIA LENSSEN
Sie besaß ein außergewöhnlich ebenmäßiges Gesicht und die Gabe, eine müde, unausweichlich tragische Sinnlichkeit anschaulich zu machen. Das Weiße in ihren Augen spielte mit, wenn Greta Garbo mit dem abwesenden Lächeln einer Schlafwandlerin in die Kamera schaute.
Das war am Anfang, als sie Hollywood zeigte, dass sie etwas Besonderes mitbrachte, Starqualität. Später, als dieses Gesicht getestet, gestylt, in Maßen getunt zur sicheren Investition für das MGM-Studio geworden war, verschwand der Kult der somnambulen Blicke aus ihrem Repertoire. Die Gesichtslandschaften aus Traum und Rausch machten den perfekten Masken Platz. Die Inszenierung des Stars stellte sich selbst mit aus: silberweiß gepuderte Makellosigkeit der Haut, große Augen mit dramatischen Lidstrichen in der Augenfalte, immer neue Frisuren und Kopfputz aller Art. Die Göttliche war kreiert, eine klare, strenge Schönheit wie aus Marmor, Licht und Lack.
Sie arbeitete mit, die Perfektion des typischen MGM-Stils bis in absurde Künstlichkeit zu treiben. Ihr erster amerikanischer Film „The Torrent“ war die Entdeckung eines neuen Sexsymbols: „ein Gesicht mit der Ausstrahlung von Michelangelos Pietà, das aber doch von Leidenschaft glühte“, schreibt ihre Kollegin Louise Brooks. Abgedroschene Stoffe wurden mit Close-ups ihres Antlitzes plötzlich zum Leinwandereignis. Die Garbo begründete ihren Ruhm damit, klischeehafte Gefühlsmimik zu vermeiden. Was sie verführerisch gut konnte: subtile Regungen innerer Vorgänge andeuten, den „bezaubernden Schatten einer Seele schaffen“, wie Louise Brooks es nannte. Es war etwas an Greta Garbo, das die Massen anzog und die Feuilletonisten zu lyrischen Liebeserklärungen verführte.
Mitgewirkt am Fotogenie hat eine fallende Aktentasche. 1925 engagierte G. W. Pabst die neunzehnjährige Garbo in Berlin für seinen Film „Die freudlose Gasse“, einem sozialkritischen Melodram über Elend und Verkommenheit in der Nachkriegsgesellschaft. Die Anfängerin sollte eine verarmte Bürgerstochter spielen, die sich einen Pelzmantel aufschwatzen lässt und ihn am Ende mit Diensten im Bordell bezahlt. Michael Pabst, der Sohn des Regisseurs, berichtet, wie nervös und zittrig die junge Garbo war. Es war erst ihr zweiter ernst zu nehmender Film und sie brachte den Regisseur zur Verzweiflung. Pabst entdeckte im Lauf der Arbeit, dass er mithilfe der Zeitlupe eine Szene verbessern konnte, in der eine Aktentasche bedeutsam zu Boden fallen sollte. Ihm kam die Idee, auch die Aufnahmen seines nervösen Jungstars mit Zeitlupeneffekt zu drehen. Die Garbo erkannte sich kaum wieder, als sie ihre hastigen Aktionen bei der Mustervorführung weich und ausgeglichen sah. Die neue Methode wurde als Stilprinzip ihrer Großaufnahmen von ihren Hollywood-Regisseuren übernommen.
Nach dem Schock des Ersten Weltkriegs und den nachfolgenden Umstürzen schien die Garbo ein tiefes Bedürfnis anzusprechen. Sie wirkte wie eine Verheißung, die „Transzendierung des Alltäglichen in Gestalt einer stets fleckenlos bleibenden Heldin“ (Gisela von Wysocki). Unbedingte Gefühle, Heldinnen, die wie entrückt und unnahbar wirkten – die Garbo spielte in ihren zehn amerikanischen Stummfilmen lauter verführerische Vamp-Ladys. Roland Barthes erklärte später, dass die Garbo jenen Augenblick in der Geschichte des Films verkörperte, „da man sich buchstäblich in einem menschlichen Abbild verlor wie in einem Liebestrank“.
Bis zum Beginn des Tonfilms war das Image der Garbo voll entfaltet. Ein Blick des Helden auf ihre Gestalt, und die Leidenschaft brach aus. John Gilbert, der auch privat Garbos Gefährte in jenen Jahren war, reißt in vier Filmen die Augen nach ihr auf. Da ist jeder Auftritt voll raffinierter Blickstrategien, in denen sich der Star aus Dampf und Rauch visuell materialisiert oder hinter Masken hervorlugt.
„Flesh and the Devil“, „The Divine Woman“, „The Mysterious Lady“ und „A Woman of Affairs“: Der unverwechselbare Look der Garbo war planvolle Fabrikation. Immer wieder arbeitete sie mit dem gleichen Team zusammen. Clarence Brown drehte neun Filme mit ihr, William Daniels war ihr Kameramann, Cedric Gibbons baute die pompösen Sets, Adrian zeichnete für den glamourösen Kostümstil verantwortlich.
Die Karriere der Garbo war eine Aufsteigergeschichte, wie Hollywood sie liebte. Viele Produzenten hatten ihre Wurzeln in europäischen Immigrantenfamilien. Die junge Garbo erschien auf der Szene, als die angesehenen nationalen Filmindustrien in Europa im Gefolge des Ersten Weltkrieges in ökonomische Schwierigkeiten gerieten und Hollywood systematisch daran ging, Talente aufzukaufen.
Greta Gustafsson, die 1923 gerade die königliche Schauspielschule in Stockholm absolviert hatte und mit allen Mitteln der Armut ihrer Familie entkommen wollte, vertraute ihrem Mentor, Fürsprecher, Coach und Finanzberater Mauritz Stiller vollkommen. Der herrische Ästhet war die rückhaltlos geliebte Vaterfigur für die junge Halbwaise. Stiller, ein für seine historischen Epen und eleganten Komödien in ganz Europa bekannter Theater- und Filmregisseur, soll auch ihren Künstlernamen Garbo (spanisch: Anmut) kreiert haben. Er gab ihr die erste seriöse Rolle der Gräfin Dohna in seiner Selma-Lagerlöf-Verfilmung „Gösta Berling“ und forderte ein hartes Programm von ihr: Bis aus Greta Gustafsson die Garbo wurde, hungerte sie zehn Kilo herunter.
Beim Berlin-Start von „Gösta Berling“ machte Stiller seine Entdeckung mit Louis B. Mayer, einem der drei MGM-Chefs, bekannt. Mayer wollte Stiller, nahm dessen Muse in Kauf und gab den beiden schlecht bezahlte Verträge. Am Ende kam alles anders. Stiller, 23 Jahre älter und schwul, ein herrischer Ästhet und Meister eleganter Komödien, ebnet der Garbo den Weg nach Hollywood via Berlin. MGM hatte das ungleiche Paar zwei Monate in New York sich selbst überlassen, bis ein Fotograf ungewöhnlich sinnliche Porträts der Garbo in einer Illustrierten veröffentlichte. Sofort wollte man den Jungstar engagieren und merkte, dass man ihn bereits eingekauft hatte. 16 Jahre blieb die Garbo bei MGM, zwei Dutzend Filme drehte sie für das Studio. Stiller dagegen wurde schon beim Debüt kaltgestellt, er verließ Hollywood verbittert.
400 Dollar verdiente die Garbo wöchentlich. Ihre Zähne wurden begradigt, noch mehr Diäten eingehalten. Da sie 1,80 Meter groß war und breite Schultern hatte, zwang man sie, mit vorgeschobenen Schultern und flachen Schuhen Größe zu kaschieren und mit schwanengleichem Hals zu ihren Partnern aufzublicken. Nach dem dritten Film trat die Garbo in einen zehnmonatigen Streik, weil sie nicht schlechter als ihr Partner bezahlt werden wollte. Sie erstritt sich eine sukzessiv steigende Gage, die bis zu ihren großen Sprechfilmen der Dreißigerjahre auf 250.000 Dollar pro Film kletterte.
Mit „Anna Christie“ 1930, dem heiklen Beweis, dass ihre Altstimme für den Tonfilm taugte, schaffte die Garbo einen Karrieresprung, der nur den wenigsten gelang. Zeitweise die bestverdienende Schauspielerin Hollywoods, legte sich die Garbo als einer der ersten Stars Finanzberater zu und steigerte ihr Vermögen um ein Vielfaches. Die Garbo stritt auch für ihr Mitspracherecht bei der Rollenwahl und die Freistellung von allen verordneten Publicity-Terminen. Keine Premierenfeiern, keine Party-Termine, nur eine Handvoll Interviews sind seither dokumentiert. MGM machte aus der Not eine Marke, indem das Defizit zum Kennzeichen von Unnahbarkeit und Entrücktheit stilisiert wurde. Die Legende war geboren. Aus Menschenscheu hatte sich eine Art stilvolle Zickigkeit entwickelt.
Privat war die Garbo die absolute Kontrastpersönlichkeit zu dem Bild, das Hollywood von ihr kommerziell ausbeutete. Gerade ihr Eigensinn machte sie zur Ikone, setzte sie allerdings auch der ständigen Beobachtung aus. Noch vor Marlene Dietrich brach sie den Kleidercodex der Glamourmetropole. Mit Vorliebe trug sie Männeranzüge, Krawatten und flache Oxford-Schuhe. Täglich brach sie zu langen Spaziergängen auf, sonnte sich viel, spielte Tennis und machte Picknick – alles Hobbys, die der Pflicht zum Luxusleben nicht genügten.
Die androgyne Seite der Garbo wurde erst mit dem Film „Königin Christine“ 1933 öffentlich. Als schwedische Königin aus dem 17. Jahrhundert hat sie eine Hosenrolle, küsst ihre Zofe auf den Mund und weigert sich, aus Staatsräson zu heiraten. Der Film gilt heute als Klassiker des Cross-Dressing und fehlt in keinem Handbuch des lesbischen Films. Verführerinnen, Mätressen, große Leidende, Stage-Ladys und Performerinnen aller Art spielte die Garbo. Immer mit einem exotischen, irgendwie europäischen Flair. Als Ernst Lubitsch sie 1939 nach einem Drehbuch von Billy Wilder in „Ninotschka“ als steife Politkommissarin besetzte, schlug der Slogan „Garbo lacht!“ zwar ein, war jedoch eine Parodie auf typische Garbo-Rollen.
Doch der Film noir verlangte härtere Frauenbilder. MGM entließ die Diva aus dem Vertrag, neue Filmprojekte zerschlugen sich. Greta Garbo zog sich nach New York zurück in eine Wohnung mit Blick auf den Hudson. Umgeben von Renoir-, Bonnard- und Jawlenski-Bildern verbrachte sie 48 Jahre allein, immer wieder unterbrochen von Reisen zu ihren Freunden unter den Happy Few in Europa. Die Garbo lebte in Beziehungen zu dem Diät-Guru Gaylord Hauser, dem Dirigenten Leopold Stokowski, dem Fotografen Cecil Beaton und dem Banker George Schlee. Ihre Streifzüge durch New York gehören zur Stadt-Legende. Ihr Tod fiel 1990 mit der Yuppie-Ära zusammen, in der der lässige Stil der privaten Garbo noch einmal im coolen Donna-Karan-Look zitiert wurde.
Zu ihrem hundertsten Geburtstag wird Exklusivität zelebriert. Von den meisten Stars gibt es Wochenschaubilder, Fernsehinterviews, Galas, Talkshowauftritte, von ihr geistern nur die alten Filme durchs Nachtprogramm. Die romantische Revolte, die Garbos Filme mit Pathos auflädt, ist fremd geworden, im Kino und anderswo.
CLAUDIA LENSSEN lebt als Filmkritikerin und Publizistin in Berlin