Trauerspiel um hessischen Kulturpreis: Er könnte an ein Kreuz glauben
Der Hessische Kulturpreis wird nicht an Navid Kermani verliehen, weil zwei der Preisträger seine Interpretation des Kreuzes missbilligen.
Die Nachrichtenagentur epd hat für den Vorgang eine korrekte, aber dennoch irreführende Überschrift gefunden: "Hessischer Kulturpreis 2009 wird nicht an Muslime vergeben." Es handelt sich nicht um eine Grundsatzentscheidung, es geht nicht um die Muslime als solche, sondern um zwei bereits als Preisträger benannte Muslime. Der eine hatte den Preis aus freien Stücken abgelehnt, der andere sollte ihn erst bekommen, dann aber doch nicht. Man kann es eine Posse nennen, eigentlich aber ist es ein Trauerspiel.
Der Reihe nach: Am 22. März sollte der Hessische Kulturpreis an Peter Steinacker, Karl Kardinal Lehmann, Salomon Korn und Fuat Sezgin verliehen werden. Steinacker bekleidete früher das Amt des Kirchenpräsidenten der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Lehmann war lange Vorsitzender der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Salomon Korn ist Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Fuat Sezgin ist ein anerkannter Experte auf dem Feld des arabisch-islamischen Schrifttums und der Geschichte der Naturwissenschaften im arabischen Raum. Man hatte also Repräsentanten aller abrahamitischen Religionen des Worts unter den Hut des Kulturpreises gebracht.
Dann aber lehnte Sezgin nach einigen Wochen "zur Überraschung der Jury" die Auszeichnung ab, wie es seitens der Hesssichen Staatskanzlei heißt. Er begründete seine Entscheidung damit, dass Mitpreisträger Korn die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und den Palästinensern öffentlich so kommentiert habe, "dass es für seine politische Überzeugung und sein kulturelles Verständnis nicht hinnehmbar sei, den Preis mit ihm anzunehmen". Das zuständige Kuratorium fand Ersatz in Gestalt des Schriftstellers Navid Kermani, der auch von den anderen Preisträgern für würdig befunden wurde. Bis am 14. März in der Neuen Zürcher Zeitung eine Meditation Kermanis über Guido Renis Kreuzesdarstellung in der Basilika San Lorenzo zu Rom erschien.
In seinem Text erklärte Kermani, warum er die Verklärung des Schmerzes im Christentum genauso ablehne wie eine ähnlich exzessive Lust am Leiden, die in der schiitischen Auslegung des muslimischen Glaubens "bis hin zum Pornografischen zelebriert" werde. Kermani wurde noch deutlicher und bezeichnete die Kreuzestheologie als "Gotteslästerung und Idolatrie". Sein Text nimmt dann aber eine erstaunliche Wende.
Der Schriftsteller erklärt, wie ihn das Altarbild trotz grundsätzlicher Ablehnung des Kreuzes durch seine Darstellung des gekreuzigten Jesus so berückt habe, dass "ich am liebsten nicht mehr aufgestanden wäre". In diesem Augenblick habe er zum ersten Mal gedacht, auch er könne an ein Kreuz glauben, schreibt Kermani. Das Kreuz, das der Autor hier zu schätzen beginnt, verkläre eben nicht den Schmerz. Dieser Jesus sterbe, gerade weil er nicht als Gefolterter verherrlicht werde, "stellvertretend für die Menschen, für alle Menschen, ist er jeder Tote, jederzeit, an jedem Ort. Sein Blick ist der letzte vor der Wiederauferstehung, auf die er nicht zu hoffen scheint."
Die Poesie von Kermanis Würdigung des Kreuzestods, die in mancher Hinsicht womöglich näher am Kanon bleibt als die eine oder andere Interpretation christlicher Denker, auch wenn diese meist nicht ungestraft davonkamen, entging den Mitpreisträgern. Steinacker und Lehmann erklärten, dass sie wegen der "fundamentalen und unversöhnlichen Angriffe auf das Kreuz den Preis bei gleichzeitiger Vergabe an Navid Kermani nicht annehmen werden". Da entschied das Kuratorium kurzerhand, dass Kermani den Preis nun doch nicht bekommen solle. Er wird nun an Steinacker, Lehmann, Salomon verliehen, nicht an Muslime.
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