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■ Trauermarsch in Berlin: Etwa 15.000 Kurdinnen und Kurden gedachten gestern der beim Hungerstreik gestorbenen Gülnaz Baghistani und demonstrierten gegen das Verbot der PKKDemonstrative Deeskalation

Trauermarsch in Berlin: Etwa 15.000 Kurdinnen und Kurden gedachten gestern der beim Hungerstreik gestorbenen Gülnaz Baghistani und demonstrierten gegen das Verbot der PKK

Demonstrative Deeskalation

Niemand weint, als der Sarg mit der Leiche von Gülnaz Baghistani aus der schwarzen Limousine gehoben und auf dem Berliner Breitscheidplatz auf den Boden gestellt wird. Abschlußkundgebung bei glühender Hitze für die „erste Märtyrerin“ des kurdischen Volkes auf deutschem Boden, Abschlußkundgebung für die 41jährige Mutter von fünf Kindern, die Mitte letzter Woche an einem Kreislaufkollaps nach einem achttägigen Hungerstreik starb.

Etwa 15.000 Kurdinnen und Kurden, viele von ihnen mit Bussen vor allem aus dem Ruhrgebiet angereist, sind gekommen, um sich von Gülnaz Baghistani zu verabschieden. Vor allem aber, um gegen das Verbot der Kurdischen Arbeiterpartei PKK zu demonstrieren. „Gülnaz, du bist nicht gestorben“, skandiert ein Sprecher des Hungerstreikkomitees auf der Kundgebung, „du bist unsterblich, du hast ein Opfer für die Freiheit gebracht.“

Innerhalb von Minuten ist der Sarg mit einem Berg roter Rosen bedeckt. Während des sieben Kilometer langen Fußmarsches aus Kreuzberg bis in die Innenstadt wurden sie von den Ordnern verteilt. Sie gaben auch die Parolen aus, die die Demonstranten lautstark riefen: „Gestern Juden, heute Kurden“, oder „Kanther – ein Mörder“. Sehr viele TeilnehmerInnen trugen Plakate mit dem Bild des PKK-Führers Abdullah Öcalan und dem Exilführer Kani Yilmaz, der demnächst aus Großbritannien nach Deutschland ausgeliefert wird und hier ein Mordverfahren durchstehen muß.

Die Polizei, mit etwa 3.000 Männern und Frauen vertreten, darunter etwa 850 aus Niedersachsen, Brandenburg, Sachsen und Bayern, zeigte demonstrativ Präsenz, hält sich aber an die vorgestern ausgerufene um Deeskalation bemühte „Berliner Linie“. Weil auch das Organisationskomitee der Demonstration sich sehr anstrengte, Ruhe und Frieden zu bewahren, kam es zu keinerlei bemerkenswerten Störungen. Auch als jugendliche Demonstranten mehrfach mitten auf der Straße türkische Flaggen verbrannten, guckte die Polizei weg.

An dem Marsch nahmen auch etwa 50 KurdInnen teil, die wie Gülnaz Baghistani seit dem 20. Juli aus Solidarität mit den 10.000 kurdischen „Kriegsgefangenen“ in der Türkei alle Nahrung verweigern. Etwa weitere 50 Hungerstreikende waren schon zu schwach für den Gewaltmarsch, sie wurden in einem klimatisierten Bus zur Abschlußkundgebung gefahren. Überraschend meldete sich dort auch der Ehemann der Toten, Hadi Baghistani, zu Wort. Vorgestern hatte er erklärt, daß der Hungerstreik in Berlin und Frankfurt unbedingt weitergehen müsse. Er hatte aber auch gesagt, daß nicht alle KurdInnen, die jetzt hungern oder demonstrieren, Parteigänger der PKK sind. Noch am Abend fuhr er nach Osnabrück, wo seine Frau heute beerdigt wird.

Im Unterschied zu seiner Frau, die erst im März dieses Jahres aus dem irakischen Teil von Kurdistan mit Hilfe einer Schlepperorganisation nach Osnabrück kam, lebt er seit 1990 als politischer Flüchtling in Deutschland. Anita Kugler, Berlin

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