Transsexualität im Kindesalter: „Kein Ergebnis vorgeben“
Die Antidiskriminierungsbeauftragte Eren Ünsal rät, transsexuelle Kinder auf ihrem eigenen Weg zu unterstützen. Und sie nicht stationär „umpolen“ zu lassen.
taz: Frau Ünsal, in Berlin will ein Jugendamt ein transsexuelles Kind in der Charité mit umstrittenen Therapiemethoden quasi umerziehen lassen. Müssen Sie da nicht einschreiten?
Eren Ünsal: Da stellen sich viele Fragen: Ist das Kind wirklich transsexuell, oder ist das noch gar nicht so klar? Braucht es eine andere Form der Unterstützung? Das können wir gar nicht entscheiden. Wir können aber die zuständigen Stellen um Informationen bitten und ihnen auch beratend zur Seite stehen.
Das Problem liegt darin, dass die Berliner Charité ein Therapieverfahren anwendet, das Fachleute als manipulative "Umpolungstherapie" ablehnen. Das heißt, das Kind könnte in seinen Menschenrechten massiv verletzt werden.
Wir haben den Runden Tisch Trans- und Intergeschlechtlichkeit. Da geht es genau darum, in den Austausch zu gehen und abzuwägen, welche Verfahren angemessen sind. Wir können aber nicht vorgeben, was richtig und was falsch ist. Persönlich muss ich sagen, dass ich bei einem manifest transsexuellen Kind erst mal überlegen würde, wie ich es unterstützen kann, bevor so drastische Maßnahmen wie eine stationäre Einweisung anstehen.
In dem Band "Sexualmedizin" des Charité-Sexualmediziners Klaus Beier heißt es: In der Therapie sollen "adäquate Verhaltensweisen belohnt werden, geschlechtsatypische Verhaltensweisen werden nicht beachtet bzw. - beiläufig - unterbunden." Wie würden Sie so eine Therapie nennen?
Ich würde das als sehr schwierig einstufen, zumal Betroffene und eine ganze Reihe von Expertinnen und Experten nicht mit diesen Therapieansätzen einverstanden sind. Der Diskurs geht in die Richtung, solche konditionierenden Maßnahmen nicht durchzuführen.
43, leitet seit 2008 die Berliner Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung. Sie ist gelernte Soziologin.
Früher hat man auch versucht, Homosexuelle umzupolen. Das wird heute als Menschenrechtsverletzung angesehen.
Selbstverständlich ist das menschenrechtsverletzend. Aber wenn noch gar nicht klar ist, welche Identität das Kind eigentlich hat, kann auch nicht von Umpolung gesprochen werden. Jeder Begleitungsprozess zur Unterstützung eines jungen Menschen in seiner Identitätsentwicklung muss ergebnisoffen sein.
Alex ist das Pseudonym eines Berliner Kindes, das männliche Geschlechtsmerkmale hat, sich aber als Mädchen empfindet. Die Elfjährige möchte eine Hormonbehandlung beginnen. Doch das Jugendamt meint, die "Störung" des Kindes sei von der Mutter erzeugt (taz vom 19.1.2012). Im Uniklinikum Charité soll dem Kind bei einem stationären Aufenthalt sein "biologisches Geschlecht" nahegebracht werden. Im Februar befasst sich das Kammergericht Berlin mit dem Fall. (oes)
Nun ist das aber genau das Verfahren, das Herr Beier vorschlägt, weil seines Erachtens so eine eindeutige Klärung in der Jugend noch gar nicht möglich ist.
Dazu gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen. Aus meiner Sicht ist das diskriminierend. Das Kind muss dann eben so lange begleitet werden, bis eine Abklärung erfolgen kann.
Wenn sich nun also jemand an Sie wendet und sagt, ich möchte nicht in der Charité begutachtet werden, sondern etwa in Hamburg. Können Sie da Ihren Einfluss geltend machen?
Wir haben einen sehr guten Draht zu den Jugendämtern, und ich denke, dass wir bei den Betreffenden mit unseren Informationen einiges erreichen können - erzwingen können wir allerdings nichts.
Wenn man nun Trans- und Homosexuelle vergleicht, fehlt über Transsexuelle noch einiges an Aufklärung?
Es fehlt in beiden Bereichen an Aufklärung. Aber es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass Transsexuelle in jedem einzelnen Lebensbereich sehr stark diskriminiert werden. Im Erwerbsleben wie bei den Dienstleistungen oder im Gesundheitsbereich. Da ist ein grundlegendes Wissen noch nicht vorhanden, und es gibt starke Vorbehalte gegenüber Transsexuellen.
Kann man das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) hier anwenden?
Das AGG greift sehr gut, wenn es ums Erwerbsleben oder eine Dienstleistung geht. Aber es fehlen auch weite Bereiche, diskriminierendes Verhalten in Schulen etwa.
Könnte eine Mutter also mit dem AGG dagegen klagen, dass das Jugendamt ihr Kind in die Charité schickt?
Nein. Das öffentliche Gesundheitswesen ist auch ein Bereich, in dem das AGG nicht greift.
Berichtigung
Auf www.taz.de war unter der Überschrift „Kein Ergebnis vorgeben“ in einem Interview mit der Berliner Antidiskriminierungsbeauftragten Eren Ünsal vom 5.2.2012 über den Fall eines transsexuellen Kindes zu lesen, ein Jugendamt wolle das Kind "in der Charité mit umstrittenen Therapiemethoden quasi umerziehen lassen". Weiterhin hieß es, die Berliner Charité wende ein Therapieverfahren an, das Fachleute als manipulative „Umpolungstherapie“ ablehnen. Außerdem war in dem Beitrag der taz zu lesen: „In dem Band 'Sexualmedizin' des Charité-Sexualmediziners Klaus Beier heißt es: In der Therapie sollen 'adäquate Verhaltensweisen belohnt werden, geschlechtsatypische Verhaltensweisen werden nicht beachtet bzw. - beiläufig - unterbunden.' [...] Nun ist das aber genau das Verfahren [Homosexuelle umzupolen; Anm. d. Red.], das Herr Beier vorschlägt.“
Die Berliner Charité und Klaus Beier erklären hierzu, sie wenden dieses Verfahren nicht an. Sofern sich hierdurch außerdem der Eindruck ergibt, Klaus Beier habe sich zu dem konkreten Fall geäußert, ist dieser Eindruck falsch. Den von der taz beschriebenen Fall kenne er nicht, erklärte Beier.
Klaus Beier lässt in diesem Zusammenhang ferner mitteilen, dass er die aus dem Buch zitierte Passage nicht selbst verfasst habe, sondern hierdurch lediglich die Position einer kanadischen Arbeitsgruppe wiedergegeben werde. Gleichwohl war er einer von drei Verfassern des Buches „Sexualmedizin - Grundlagen und Praxis“, das zuletzt im Jahre 2005 in 2. Auflage veröffentlicht wurde. Leitete er noch am 12.1.2012 per E-Mail „einige Originalarbeiten zum Thema“ von anderen Verfassern an die Autorin der taz weiter, ohne mitzuteilen, dass diese Aufsätze anscheinend nicht ausnahmslos seine eigene wissenschaftliche Auffassung wiedergeben, bezieht er sich nunmehr ausdrücklich nur noch auf eine Publikation im Deutschen Ärzteblatt aus dem Jahre 2008, in der das Vorgehen der Charité adäquat beschrieben werde.
Dagegen heißt es in einem anderen der insgesamt drei übersandten Fachaufsätze zur Behandlung von „Geschlechtsidentitätsstörungen bei Jungen“ übersetzt: „Die spezifischen Ziele, die wir für Jungen haben, sind die Entwicklung eines positiven Verhältnisses zum Vater (oder einer Vaterfigur), positiver Beziehungen zu anderen Jungen, geschlechtstypischer Fähigkeiten und Verhaltensweisen, um sich in die Gruppe Gleichaltriger oder zumindest einen Teil von ihnen einzufügen und sich als Junge wohlzufühlen. [...] Die Behandlung ist abgeschlossen, wenn der Junge regelmäßig die Gegenwart gleichgeschlechtlicher Freunde sucht und sein geschlechtsübergreifendes Verhalten weitgehend normal erscheint.“ Die Redaktion
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