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taz FUTURZWEI

Transformation durch Technik? Kultur und fauler Zauber

Technologien sollen uns raushauen – aus der Klima- und Energiekrise, dem Mobilitätsproblem und auch der allgemeinen Denkschwäche. Schauen wir mal.

Kultur und Technik Foto: Alina Günter

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Deutschland mag Technik, das kann man schon in der Werbung sehen. Das Land der Maschinenbauer und Ingenieure, jedenfalls wäre das eine der Selbstzuschreibungen, kennt für Autos »Vorsprung durch Technik« (NSU, Audi) und weiß, dass »Alles eine Frage der Technik« ist (Mediamarkt/Saturn). Was das ist, Technik, woher sie kommt, das interessiert Werber wieder weniger – und das Publikum, wie es scheint, gar nicht.

»Technik«, hat der Technikhistoriker Wolfgang König einmal geschrieben, müsse »in ihrem Wirkungszusammenhang mit Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft verstanden werden«, und wer über sie berichte, müsse »zeigen, wie Technik aufgrund menschlicher Entscheidungen, gesellschaftlicher Bedingungen und kultureller Traditionen geworden ist [und …] die Welt verändert hat.«

Oder kurz: It’s the culture, stupid.

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Dass man sich an diese Instruktionen Königs genau hält, ist entscheidend dafür, ob verstanden wird, was Technik für die Transformation tun kann und was nicht. Wer nur glaubt, dass menschliche Entscheidungen relevant sind, geht in die selbstgelegte Falle aller Politik, die meint, sie könnte heute auch methodisch und modellhaft die Weichen stellen für das, was kommt. Zukunftsgestaltung heißt dann immer recht vage und ausgefüllt von jenen Phrasen und Gemeinplätzen, die, im Wortsinn, zu nichts führen – außer zu Irrtümern, natürlich. Wer meint, es reicht auch nur, die gesellschaftlichen Bedingungen als Ausgangspunkt zu nehmen, landet letztlich auch auf dem Holzweg. Wir nennen es Ideologie oder weniger großmäulig Wunschdenken, und zwar im Sinne von: »Wünschen darf man sich alles, etwa vom Weihnachtsmann.« Kulturelle Traditionen, auf die man zuletzt kommt im alten neuen Fortschrittsglauben, sind wohl am bedeutsamsten auch für all das, wo wir Fortschritt und Vorsprung aus Technik zu erkennen glauben. Das liegt daran, dass menschliche Gewohnheiten viel stärker sind als das Momentum, das zwischen revolutionärem Reden und transformativer Praxis entsteht. Niklas Luhmann hat einmal gesagt, dass es die »Kultur« sei, die »zwischen uns und der Veränderung steht«, und es ist nicht schwer, diesen Satz zu verstehen. Kultur, das ist das, was wir für normal halten. Normal, das ist das, worüber wir nicht groß nachdenken. Die kulturelle Erfahrung ist, dass Technik dazu da ist, die Welt besser zu machen, das ist die normale Sichtweise. Wenn Kultur das ist, was zwischen uns und der Veränderung steht, ist es für Leute, die ihre Transformation auch hinkriegen wollen, erstmal spielentscheidend, dass sie die kulturellen Traditionen kennen, die dazu führen, dass wir »Vorsprung durch Technik« für normal halten. Wer wissen will, was kommt und wie weit wir damit kommen, muss erst mal wissen, woher wir kommen – Odo Marquards in konservativen Kreisen gern genommenes Bonmot von der »Zukunft, die Herkunft« braucht ist also tatsächlich eine ziemlich progressive Angelegenheit, weil nur dort, wo klar ist, was ist (einschließlich der Entwicklungsgeschichte dazu), auch ernsthaft darüber gesprochen werden kann, was noch geht. Oder anders: Wer Regeln brechen will, muss sie erstmal kennen (und verstanden haben).

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Die Transformation von der Industrie- zur Wissensgesellschaft bedeutet ja nicht, dass wir aufhören, irgendetwas herzustellen oder zu produzieren. Verändert werden die Methoden, die Organisation dieses Herstellens, die Quantität und Qualität der Rohstoffe dazu. Ungefähr so läuft das auch bei der Transformation des technischen Fortschritts. Die traditionelle Kultur kennt den Homo faber, den schaffenden Menschen, der erfindet, bastelt, konstruiert und verbessert, und dann wieder von vorn. Der Homo faber ist eigentlich das zentrale Menschenbild, die Normalität, über die niemand nachdenkt. Der Homo faber wird nicht weggehen, weil er in Zeiten der Erderhitzung und der Ressourcenschonung, der Digitalisierung und der Automatisierung dringendst gebraucht wird. Aber er wird sich einlassen mit dem Vorbild, dem role model der Wissensgesellschaft, dem Homo ludens, der merkwürdigerweise oft als Gegensatz zum Homo faber gesehen wird, was aber, mit Verlaub, ziemlicher Quatsch ist. Der Homo faber konstruiert und baut, weil er eben auch ein Homo ludens, ein spielerischer, individueller Mensch ist, der experimentiert und nicht von vornherein auf einen Lösungsweg festgelegt ist.

Führen die Versuche zu Erfolgen, dann übernimmt der Homo faber die Sache, bis neue Probleme auftauchen und nach neuen Problemlösungen gesucht werden muss. Vorsprung, Fortschritt, das ist eine neue Idee, die umgesetzt erst das ergibt, was wir Technik nennen. Im Grunde genommen ist das die bewährte Seilschaft der Moderne, die Armut, Schmutz und Elend wenigstens weitgehend beseitigt hat, Neugierde und Experimentierfreude des Homo ludens, die sich mit der nüchternen Umsetzungsbegabung des Homo faber verbindet. Das verbessert die Welt. Die Frage ist: Warum wird das bestritten? Weil es um Macht geht, wie immer. Wo das dynamische Duo Faber und Ludens werkelt, ist Transformation, Veränderung, und das schmeckt bekanntlich all jenen nicht, die schon haben, was sie brauchen, und das Neue als Bedrohung ihres Status quo sehen. Der Wirtschaftshistoriker David Landes hat darüber berichtet, wie die Brille die Fähigkeit erfahrener Handwerker und Gelehrter nochmals verstärkt hat und dem späten Mittelalter einen Wissensschub verpasste. Die, die schon was konnten, waren dank Brille nun länger in der Lage, es zu tun, weil ihre Augen nicht schon in ihrem dritten Lebensjahrzehnt an Sehkraft verloren. Natürlich nutzten auch die Kirchenfürsten, der Klerus, Brillen, aber sie versuchten, die allgemeine Verbreitung der Sehhilfe zu behindern. Es war ihnen durchaus klar, dass damit letztlich der Verlust der politischen, kulturellen und geistigen Deutungshoheit riskiert wurde. Die Brille, die das Wissen mehrte und dieses Wissen nicht mehr exklusiv an die Kirche band, war, wie zweihundert Jahre später die Erfindung der beweglichen Drucklettern durch Gutenberg, die eigentlich disruptive Kraft, auf die dann die Reformation aufsetzen konnte. Nicht die Idee war zuerst da, sondern die Technik, die die alte Idee infrage stellte und einer neuen Idee Raum schuf.

taz FUTURZWEI N°26

Die Welt muss wieder schön werden

Wer Ernst machen will, muss verstehen, warum wir nicht gegen die Klimakrise handeln, obwohl wir alles wissen: Ohne Kulturwandel kein Weltretten.

Wir machen Ernst III, Schwerpunkt: Kultur

Mit Annahita Esmailzadeh, Arno Frank, Esra Küçük, Ricarda Lang, Wolf Lotter, Nils Minkmar, Luisa Neubauer, Robert Pfaller, Eva von Redecker, Claudia Roth, Ramin Seyed-Emami und Harald Welzer.

taz FUTURZWEI N°26 hier bestellen

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Ganz ähnlich begann die Transformation, an deren Ende wir heute stehen und die wir »industrielle Revolution« nennen, was etwas irreführend ist. Die Superkraft heißt Arbeitsteiligkeit, also die Idee, dass weit mehr und weit besser produziert werden kann, wenn hundert Leute nicht mehr alle das Gleiche tun, sondern die Arbeit in Arbeitsschritte und kleine, spezialisierte Einheiten zerlegen. Spezialisierungen gab es zwar in menschlichen Gemeinschaften immer schon, aber nun wurde die Arbeit so genau zerlegt und so präzise organisiert, dass es kaum noch Zufälle gab. Das vertausendfachte die Möglichkeiten, Erträge, den Output. Was im 18. Jahrhundert begann, wurde im Superindustrialismus des frühen 20. Jahrhunderts zum Extrem. Der amerikanische Ingenieur Frederick Winslow Taylor, Vorbild und Ratgeber des Industrie-Tycoons Henry Ford, trennte geistige und körperliche Arbeit radikal voneinander und zerlegte jeden einzelnen Arbeitsschritt in berechenbare Muster.

Der Fortschritt war, wie Menschen auch, eine Maschine, kalkulierbar, aus Teilen gefertigt, die ersetzt werden konnten, wenn sie nicht mehr gut genug funktionierten. Taylor, ganz Ideologe, meinte es nur gut. Die enge Lebens- und Arbeitsführung entstand aus der Idee, dass die Spezialisten einfach nur mehr Zeit und Konzentration auf das legen sollten, was ihnen wirklich lag und wichtig war, auf ihr Talent. Mit lästigen Nebenarbeiten sollte keine Zeit verplempert werden. Das ist auch heute der Tenor der Transformation von Arbeit und der Hoffnung, die aus der Digitalisierung und ihren Unterdisziplinen wie der sogenannten künstlichen Intelligenz wächst. Die Informationstechnik ist nüchtern betrachtet Automatisierung, nicht mehr, nicht weniger. Theoretisch schafft sie damit Freiräume. Vor diesem Hintergrund ist die Digitalisierung und der KI-Hype eine Entlastung, vorausgesetzt wir sind nicht zu faul dazu, dies auch verstehen zu wollen.

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Bevor wir die schöne neue Welt feiern, sollten wir uns daran erinnern, was weiter oben stand, dass nämlich die kulturellen Traditionen, die Normalität das Spiel mit dem technischen Fortschritt bestimmen. Wenn die Arbeitsorganisation, die Frage der Selbstbestimmung von Arbeit, die Frage der Autonomie menschlicher Arbeit überhaupt nicht geklärt ist, dann übernimmt die alte hierarchische Kultur in der neuen, scheinbar menschenfreundlichen Technologie das (geheime) Kommando. »Jede hinlänglich fortgeschrittene Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden«, sagt der weise Arthur C. Clarke, der in den 1950er- bis 1970er-Jahren so vieles von dem, was heute ist, so präzise vorhersah, weil er immer das menschliche Wesen und die mit ihm verbundene Kultur als wichtigste Ausgangsbasis für alle Zukunftsdenkerei erkannte. Damit die Magie nicht, wie so oft schon, zum faulen Zauber wird, müssen wir also Technik verstehen. Taylors Arbeiter und Angestellte scheiterten in den Ford'schen Fabriken und ihren weltweiten Nachfolgern daran, dass sie zu wenig über das Ganze und die Grundlagen der technischen Transformation, der sie unterlagen, wissen wollten.

Grundwissen über das Wesen von Technik und Technologie ist elementar. Es braucht Grundlagenwissen zu unserer Kultur, unserer Denkart und den damit verbundenen blinden Flecken bei der »Produktion von Fortschritt«, um wirklich progressive Entwicklungen zu machen.

WOLF LOTTER

Zusammenhänge. Wie wir lernen, die Welt wieder zu verstehen. Edition Körber 2020 – 296 Seiten, 20 Euro.

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Dabei geht es nicht nur um Zahlen, Daten und Fakten, um Baupläne und Codes, um Formeln und Methoden, vielleicht ist all das sogar hinderlich beim Verständnis fürs Ganze. Deshalb ist der – nicht nur von Konservativen und der FDP – so heftig geforderte Programmierunterricht keineswegs eine Lösung, sondern eher ein Ablenkungsmanöver. Wer programmieren lernt, der hat noch lange nicht verstanden, wie Digitalisierung Machtstrukturen bedient, welche Geschäftsmodelle dabei entstehen und vernichtet werden und vor allen Dingen: wie man technisches Grundwissen und Fertigkeiten für die Entwicklung der Menschen nutzen kann – oder gegen sie. Nur wer das Wesen, die Normalität, die Kultur der Digitalisierung verstanden hat, kann dann damit das jeweils Richtige tun. Wer programmieren gelernt hat, weiß über die Digitalisierung und ihre Auswirkungen so viel wie ein Fabrikarbeiter, der mit zehn Handgriffen angelernt wurde, aber sich zeitlebens nie mit der Frage beschäftigt hat, was Industriekapitalismus ist. Das heißt hier nicht, dass, wie so üblich in progressiven Kreisen, die Digitalisierung und die Technik als Instrument des »Klassenfeindes« gesehen werden, sondern, im Gegenteil, als Werkzeug, um die und den Einzelnen weiterzubringen. Es braucht dazu aber vor allen Dingen Wissen, warum sich Technik zum faulen Zauber entwickelt und wer wo welche Interessen hat, wenn es darum geht, das Neue voranzutreiben oder zu verhindern. Darüber reden wir im zweiten Teil.

Dieser Beitrag ist im September 2023 im Magazin taz FUTURZWEI N°26 erschienen. Teil 2 folgt in der kommenden Ausgabe N°27.