Trainerrotation in der Fußball-Bundesliga: Söldner an der Linie
Immer mehr Übungsleiter fliehen aus ihren Verträgen. Und Leverkusen prangert die Bauerntricks von Labbadia an, der sich vor dem Wechsel nach Hamburg eine Abfindung sichern wollte.
Als Brutstätte des Widerstandes ist die Stadt Leverkusen bisher nicht in Erscheinung getreten. Hier wird solide gearbeitet, die Chemiestadt genießt einen bescheidenen Wohlstand, das gilt für ihre Einwohner wie für den ortsansässigen Fußballklub. Am Freitag wurde nun von ebendort ein Signal der Rebellion an die Fußballnation ausgesandt. Bayer Leverkusen hat vor, sich gegen die grassierende Willkür der Trainergilde zu wehren.
Martin Jol, Felix Magath, Christoph Daum und Hans Meyer haben ihre Klubs in den vergangenen zwei Wochen verlassen - ungeachtet laufender Verträge und trotz des Wunsches ihrer Arbeitgeber, weiterhin zusammenzuarbeiten. Seit einigen Tagen drängt nun auch Labbadia mit aller Macht auf einen Wechsel von Leverkusen zum Hamburger SV. Bayer-Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser will sich das nicht mehr gefallen lassen. Am Freitagmorgen preschte er an die Öffentlichkeit. "Ich habe den Hamburgern deutlich erklärt, dass Herr Labbadia noch ein Jahr Vertrag bei uns hat, und ich bitte, dies zu respektieren", erklärte er, nachdem aus Hamburg bereits Vollzug vermeldet worden war. Er sei "sehr verärgert" und "verstört" über diese Berichte, sagte Holzhäuser, seine Wut richtet sich gegen den Trainer und sein Umfeld insgesamt, insbesondere aber gegen Labbadias Berater Christian Frommert.
Der PR-Profi vertrat einst die Radfahrer der Deutschen Telekom in der Öffentlichkeit, nach dem dopingbedingten Zusammenbruch dieses Geschäftes ist er an die Fleischtöpfe des Fußballs umgesiedelt. In der vorigen Woche hat er hinter dem Rücken von Bayer Leverkusen ein Interview Labbadias in einer großen deutschen Zeitung platziert, ein Gespräch voller Vorwürfe gegen den Klub und vor allem gegen Manager Michael Reschke. So zutreffend die Kritik gewesen sein mag, längst ist klar, dass das Interview vor allem den Zweck hatte, die eigene Entlassung zu provozieren. Der Trainer wollte sich befreien für den HSV.
Mit diesem Bauerntrick wollen die Leverkusener sich jedoch nicht abspeisen lassen. Die Entlassung (die Bayer auch noch mit einer Abfindungszahlung an den untreuen Trainer hätte versüßen müssen) blieb aus, "vielleicht hätte unser Trainer sich lieber für einen Berater aus unserer Sportart entscheiden sollen", sagte Holzhäuser süffisant. Die für Freitagnachmittag geplante Vorstellung Labbadias in Hamburg musste eilig abgeblasen werden, bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe wollten die Leverkusener auch die sechsstellige Ablösesumme nicht annehmen, die der HSV geboten hat. Er könne Labbadia nicht zwingen für Bayer zu arbeiten, "aber ich kann verhindern, dass er woanders arbeitet, dieses Job-Hopping muss aufhören", sagte Holzhäuser. "Das derzeitige Verhalten der Trainer ist mit ethischen und moralischen Grundvorstellungen nicht vereinbar."
Am Ende werden die Parteien sich vermutlich auf eine erhöhte Ablösesumme einigen, doch die Bayer-Verantwortlichen haben zumindest einen Versuch unternommen, sich zu wehren, und solche Pluspunkte können Sportdirektor Rudi Völler und Holzhäuser derzeit gut gebrauchen. Der Gesellschafterausschuss, dem hochrangige Manager der Bayer AG angehören, ist nämlich alarmiert. Das Gremium kontrolliert die Fußballtochter des Chemiekonzerns, und hier hat Labbadias Fundamentalkritik einen Nerv getroffen.
Die Herren fragen sich, ob tatsächlich schon wieder nur ein Trainerwechsel den Weg in eine erfolgreichere Zukunft weisen soll oder ob - wie von Labbadia angeregt - auch einmal andere Instanzen hinterfragt werden müssen. Holzhäuser und Völler beispielsweise, vor allem aber Manager Michael Reschke, der Labbadia von Anfang an gemobbt haben soll. "Wenn jemand glaubt, ich und Rudi Völler tragen eine Mitschuld am Verpassen der sportlichen Ziele, dann müssen wir uns dem stellen", sagte Holzhäuser. Dass die Arbeit von Reschke hinterfragt wird, ist ohnehin klar. Bayer hat tatsächlich den direkten Weg hinaus aus der "Komfortzone" eingeschlagen, diese Hinterlassenschaft Labbadias wird sich vielleicht noch als überaus wertvoll erweisen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag