: Tradition gegen Lärmschutz
■ Das Bundesverwaltungsgericht verhandelte gestern die bayerische Biergartenverordnung
Berlin (AP) – Der bayerische Umweltminister Werner Schnappauf schäumte. „Biergärten sind ein Stück unserer bayerischen Identität. Die opfern wir nicht auf dem Altar des Zentralismus!“ Da zeichnete sich ab, daß das Bundesverwaltungsgericht in Berlin nahe dran war, die bayerische Biergartenverordnung zu kippen – auch wenn der Vorsitzende Richter, Everhardt Franßen, Verständnis für bayerische Eigenart bekundete: „Ihren Hintergrund haben wir Preußen voll erfaßt!“
Die zweistündige Revisionsverhandlung machte klar, daß die Berliner Richter erhebliche rechtliche Bedenken gegen den bayerischen Alleingang haben. Mit der Verordnung hatte die Staatsregierung die Öffnungszeiten im Sommer 1995 kurzerhand auf 23 Uhr verlängert, nachdem Tausende in der „ersten bayerischen Biergartenrevolution“ gegen die richterliche Anordnung kürzerer Sperrstunden protestiert hatten. Doch was die Vertreter des Freistaates als Verordnung von „genialer Einfachheit“ lobten, schien den Berliner Richtern ein wenig schlicht.
Es sei schwer einzusehen, warum die Verordnung überhaupt keine Lärmschutzregelungen für die Betriebszeiten vorsehe, kritisierte Franßen. Statt konkrete Grenzwerte festzulegen, erkläre der Freistaat einfach, der Lärm aus Biergärten sei gar kein Lärm, sondern Ausdruck bayerischer Lebensart. Franßen äußerte erhebliche Zweifel, ob dies mit Bundesrecht vereinbar sei. Schnappauf betonte dagegen, eine 400 Jahre alte Tradition müsse vor dem Lärmschutz geschützt werden.
Dies sehen die sechs Kläger, Anwohner der „Waldwirtschaft Großhesselohe“ im Münchner Süden, ganz anders. Seit fünf Jahren kämpfen sie gegen den Lärm, der von dem Biergarten mit seinen 2.000 Plätzen, den Autos und den Jazzkapellen ausgeht, die im Sommer dort aufspielen. Sie hatten 1995 die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes erzwungen, der die Sperrstunde auf 21.30 Uhr festlegte.
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