Townhouses: Schöner wohnen im Krankenhaus

Wo heute die Psychiatrie des Urbankrankenhauses Patienten aufnimmt, sollen bald Townhouses und soziale Projekte entstehen. Das ist ökologisch und gut für den Kiez, aber auch nicht ganz billig

Wo heute eine prächtige Säulenloggia den Weg in die psychiatrische Tagesklinik weist, soll bald gewohnt werden. Der Klinikkonzern Vivantes verkauft zum Jahresende die Altbauten des Urbankrankenhauses in Kreuzberg, den Zuschlag hat eine private Bietergemeinschaft bekommen. Ab 2009 sollen die 19 denkmalgeschützten Ziegelbauten zwischen Urban- und Dieffenbachstraße zu Wohn- und Gewerberäumen umgebaut werden.

Mehrere Baugruppen haben sich zusammengeschlossen, um das 26.000 Quadratmeter große Gelände zu kaufen und stadtteilgerecht und ökologisch zu entwickeln. Noch im September soll der Kaufvertrag mit Vivantes unterzeichnet werden, zwischen Januar und Dezember 2009 wird die Klinik alle Bauten räumen.

Die 13,5 Millionen Euro Kaufpreis und geschätzte weitere 20 Millionen Euro Baukosten müssen die Bieter gemeinsam aufbringen - ein beträchtliches finanzielles Wagnis, das umso geringer wird, je größer die Gemeinschaft wird. Bislang sind es nur 60, bis zum Jahresende will man 100 bis 120 Mitglieder zusammenbekommen. "Es ist das größte Projekt, das bisher in Kreuzberg an eine Baugruppeninitiative übertragen wurde: Eine riesige Chance", sagt Sieglinde Wilz.

Die 38-jährige Heilpraktikerin ist im April der Bietergemeinschaft "Am Urban" beigetreten. In der 5-Zimmer-Wohnung, die sie gemeinsam mit Mann und zwei Kindern bewohnen wird, will sie eine kleine Heilpraxis für Kinder einrichten, die nur nachmittags geöffnet sein soll. Ihre Patienten wird sie in der Umgebung finden, oder direkt in der Wohnanlage, wo viele junge Familien mit Kindern einziehen werden. Vormittags in Mitte arbeiten, nachmittags zu Hause - für die berufstätige Mutter, die seit Jahren im Kiez lebt, ein großer Gewinn an Lebensqualität. Dafür zahlt die Familie Wilz 260.000 Euro, einiges davon in Vorkasse. Ein Risiko - denn sollte das Wohnprojekt scheitern, ist das Geld verloren. Doch Sieglinde Wilz ist optimistisch. "Wann hat man schon mal die Gelegenheit, selbstbestimmt ein Wohnquartier auf so einem Filetgrundstück zu entwickeln? Ich bin sicher, dass viele zugreifen, denen der Graefekiez am Herzen liegt."

Klaus Meibohm liegt sein Viertel so am Herzen, dass er sich kopfüber ins Baugruppenabenteuer gestürzt hat. Der Architekt gehört zu den Initiatoren der Bietergemeinschaft, die sich bereits im April bei Vivantes mit ihrem Konzept beworben hat. "Wir wollen den Kiez stabilisieren und den Wegzug von Gutverdienenden mit Kindern aus der Gegend stoppen", sagt Meibohm. Eine Insel für wohlhabende doppelverdienende deutsche Akademikerpärchen soll "Am Urban" aber nicht werden. "Unter uns sind Handwerker, Lehrer und Journalisten, Deutsche, Marokkaner und Franzosen", betont Meibohm, der sich mit dem Konzept gegen einen Großinvestor durchsetzen konnte. Auf dem, autofreien, Gelände sollen sich verschiedene Sozialträger mit ihren Projekten ansiedeln, darunter ein Jugendhilfeverein und ein Mutter-und Kind-Wohnhaus. "Einen gewissen Gemeinschaftssinn muss man schon mitbringen, um hier zu wohnen", sagt Meibohm, der selbst mit Familie und Architekturbüro aufs Gelände ziehen will.

Im Wechsel mit dem Architektenehepaar Graetz, das für die Planung verantwortlich ist, veranstaltet Klaus Meibohm wöchentliche Informationsabende für Interessierte. Im Seniorenzentrum "Bethesda" in der Fichtestraße erklärt Meibohm, welche Wohnungen auf dem ehemaligen Klinikgelände entstehen sollen: Etagenwohnungen mit ein bis sieben Zimmern, Townhouses für kinderreiche Familien, barrierefreie Wohnungen und Appartements mit Gemeinschaftsflächen. Alles zu haben für 2.050 bis 3.000 Euro pro Quradratmeter.

Erschienen sind an einem Mittwochabend rund vierzig junge bis mittelalte Paare mit Kindern, einige Singles und Senioren. Ob es denn "Gärten mit individuellem Nutzungsrecht", Parkplätze und einen Pförtnerdienst geben werde, fragt ein junger Mann. Meibohms Antwort ist bestimmt. Eine "Gated Community" werde es am Urban nicht geben, man beabsichtige nicht die Abschottung, sondern die Öffnung zum Kiez. Der junge Mann guckt entsetzt, der Rest der Anwesenden aber fragt interessiert nach dem Gemeinschaftsspielplatz und dem von allen gestalteten Garten.

Dann lässt Meibohm die Katze aus dem Sack. Entscheidet man sich für eine 100-Quadratmeter-Wohnung, werden schon bei Eintritt in die Bietergemeinschaft 1.400 Euro fällig, bis Oktober muss eine Anzahlung von rund 16.000 Euro geleistet werden, der Rest wenig später. Einziehen können die Käufer in ihre neue Wohnung aber frühestens Ende 2009 - ein ganzes Jahr finanzielle Doppelbelastung. Außerdem kann es sein, dass noch zusätzliche Kosten anfallen. Je nachdem, wie beispielsweise das Ergebnis der Bodenproben auf Schadstoffbelastung ausfällt, die gerade durchgeführt werden.

Michael Nienaber und Franziska Walter waren bereit, diese Kröte zu schlucken. Das Journalistenpaar (er 29, sie 28 Jahre alt) hat sich entschlossen, in eine 120-Quadratmeter-Wohnung zu investieren. Erster Stock, mit Spielplatzblick, der kleinen Tochter wegen. Erfahren haben sie von "Am Urban" durch ein Immobilienportal. "Wir wollten gerne in Kreuzberg bleiben, aber nicht länger Miete zahlen", sagt Nienaber. "Schöne und bezahlbare Eigentumswohnungen in der Gegend sind selten." Von den Gründerzeit-Backsteinbauten in Kanalnähe fühlten sich die beiden ebenso angesprochen wie vom Konzept und den Mitstreitern.

Auf den Mitgliederversammlungen herrsche eine "sympathisch fokussierte Atmosphäre", findet Nienaber. Die meisten seiner neuen Nachbarn seien Leute, mit denen man sich auch sonst gern in der Kneipe treffen würde. Gute Voraussetzungen für ein funktionierendes Sozialleben also - vorausgesetzt, bis zum Jahresende finden sich genug neue Mitglieder. Doch da macht sich Michael Nienaber keine Sorgen: "Jetzt, wo das Projekt richtig angelaufen ist, geht es bestimmt weg wie warme Semmeln."

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