Tour de France: Junkies auf der Passhöhe
Forscher haben errechnet: Noch nie waren Fahrer so leistungsstark wie heute. Spitzenreiter Rasmussen erklimmt die Gipfel schneller als einst Armstrong.
Es sollte die Tour de France der Bewährung sein, die letzte Gelegenheit für den Radsport, zu beweisen, dass er dazu in der Lage ist, sich zu bessern. Bislang hat es den Anschein, als wäre die Disziplin mit Pauken und Trompeten durch diesen Test durchgefallen: Der Träger des Gelben Trikots unter Dopingverdacht, der beste Jungprofi in die Operacion Puerto verwickelt, Testosteron-Doping beim T-Mobile-Team. Der Radsport scheint wie ein Junkie einen ausgeprägten Drang zur Selbstzerstörung zu pflegen.
Haben die Radsportler wirklich nichts dazu gelernt und dopen munter weiter? Die Zahlen sprechen dafür. Die Spitzenfahrer der Tour, inklusive dem hochverdächtigen Herrn Rasmussen, sind genauso stark oder stärker noch als zu seiner Zeit etwa Lance Armstrong. Das Niveau der Tour ist, ungeachtet der taktisch verschleppten Bummeletappen in der ersten Woche, so hoch wie immer oder gar noch höher.
So jedenfalls das Urteil des Münchner Sportwissenschaftlers Georg Ladig, der seit 15 Jahren Radsportler betreut. Ladig hat exakt ausgerechnet, was die besten Fahrer im Anstieg nach Plateau de Beille am Sonntag geleistet haben und es mit den Werten verglichen, die bei Armstrong am selben Berg gemessen wurden. Das Ergebnis: Armstrong hätte auch in seiner vermutlich pharmazeutisch gestützten Bestform im Jahr 2007 mit Rasmussen und Contador kaum mithalten können.
Grundlage von Ladigs Berechnung ist jene magische Zahl, die im Radsport die exakte Leistungsfähigkeit eines Athleten wiedergibt: Das so genannte Leistungsgewicht. Der Wert wird ausgedrückt in Watt pro Kilogramm: ein 90-Kilo-Mann muss wesentlich mehr leisten als ein 70-Kilo-Federgewicht, um genauso schnell zu fahren. Das Leistungsgewicht gibt genau an, um wie viel mehr.
Ladig nimmt die Zeit, die ein Fahrer gebraucht hat, um eine definierte Strecke zu bewältigen. Berücksichtigt werden auch der Steigungsgrad sowie der Rollwiderstand des Straßenbelags und der Luftwiderstand. Aus diesen Parametern bestimmt der Wissenschaftler dann die Variable Leistung, ausgedrückt in Watt pro Einheit Gewicht. Die Zahl ist wesentlich objektiver als etwa die Geschwindigkeit, die von Umwelteinflüssen wie Straßenbelag, Steigungsgrad der Straße abhängen sowie vom Wetter und der Außentemperatur. Kurz: Das Leistungsgewicht drückt real und netto aus, wie stark ein Athlet ist, und macht die Leistungen von Athleten vergleichbar.
Als Lance Armstrong während der Tour 2004 den Anstieg zum Plateau de Beille hinauffuhr, war er nicht nur über eine Minute langsamer als Rasmussen und Contador. Armstrong brauchte 45:30 Minuten, Contador und Rasmussen nur knapp mehr als 44 Minuten. Die beiden brachten darüber hinaus auch im Vergleich zu ihrem Körpergewicht eine deutlich stärkere Leistung. Contador trat 420 Watt reine Leistung, was im Verhältnis zu seinem Körpergewicht von 69 Kilogramm 6,1 Watt pro Kilogramm ergibt. Rasmussen brachte es auf 360 Watt Leistung, was im Verhältnis zu seinem mageren Körpergewicht von 58 Kilo sogar 6,2 Watt pro Kilo ergibt. Armstrong brachte 414 Watt, was aufgrund seines vergleichsweise hohen Gewichts von 71 Kilogramm nur 5,8 Watt pro Kilogramm bedeutete.
Aus diesen Zahlen lässt sich auch ablesen, warum Alberto Contador als der neue Lance Armstrong gehandelt wird. Er hat eine extrem hohe absolute Leistung, die in einem perfekten Verhältnis zu seinem Körpergewicht steht. Der leichte Rasmussen hat hingegen zu wenig absolute Kraft, um auch im Flachen schnell fahren zu können.
Das Fazit ist eindeutig. Rasmussen und Contador sind um keinen Deut schwächer als ihre mutmaßlich gedopten Vorgänger. Entweder sind sie also noch talentierter und trainingseifriger als Armstrong. Oder sie sind noch raffinierter dabei, ihre Vorbereitung mittels Pharmazie effizienter zu gestalten.
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