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■ Tour d'EuropeWider die Vielfalt

Der Umweltgipfel in Rio 1992 hat der Weltöffentlichkeit kurz in Erinnerung gebracht, daß jedes Jahr fast hunderttausend Tier- und Pflanzensorten aussterben. Ein neues Schlagwort kam auf den Markt: Biodiversität – Vielfalt der Natur. Bis zum Jahr 2015 wird diese Vielfalt um 1,5 Millionen Arten ärmer sein. Rio konzentrierte sich vor allem auf den bedrohten Regenwald. Aber die biologische Rezession herrscht auch in der Landwirtschaft. Mehr als 5.000 Pflanzenarten, die sich in ein Vielfaches an Sorten aufspalten lassen, werden vom Menschen direkt kultiviert, manche seit weit über 10.000 Jahren. Doch die moderne Landwirtschaft nutzt nur noch wenige Sorten. Angebaut werden fast ausschließlich hochgezüchtete Hybridsorten, die auf größtmöglichen Ertrag hin gekreuzt wurden.

Bis in die 60er Jahre gab es rund 160.000 Reissorten. Heute stehen weltweit auf 95 Prozent aller Reisfelder dieselben zehn bis 15 Zuchtsorten. Bei Obst und Gemüse sieht es ähnlich aus. Ob Salatköpfe, Tomaten oder Äpfel, auf 90 Prozent aller Anbauflächen in Europa werden von den vielen Hundert Sorten jeweils nur noch eine Handvoll genutzt. Typisch regionale Obst- und Gemüsesorten sind nur noch in einigen abgelegenen Bergtälern, in nordischen Randlagen oder in Osteuropa zu finden.

Die Agrarpolitik der Europäischen Union fördert Eintönigkeit. Gefragt ist Masse statt Qualität. Darüber hinaus hat der Drang zu Einheitlichkeit dazu geführt, daß zum Beispiel knapp 1.000 Gemüsesorten gar nicht mehr auf den Markt gebracht werden dürfen, weil sie nach Farbe, Größe und Gleichmäßigkeit nicht den EU- Normen entsprechen.

Mit dem Verschwinden der Vielfalt gehen auch wichtige Pflanzeneigenschaften wie etwa natürliche Immunstoffe gegen Schädlinge verloren. In Genbanken wird versucht, ungenutzte Pflanzensorten zu sichern, um die Gene für künftige Züchtungen parat zu haben. Doch viele der in Kühlhäusern aufbewahrten Saaten sind längst tot. Nur im Anbau bleibt die Keimfähigkeit sicher erhalten und können sich die Saaten an veränderte Umweltbedingungen anpassen.

Seit 1986 fordert das Europäische Parlament auf Drängen der Grünen Fraktion von der Europäischen Kommission in Brüssel, Maßnahmen zur Rettung der Sortenvielfalt einzuleiten. 1991 hat das Parlament sogar sein Haushaltsrecht dazu genutzt, 50 Millionen Mark für die Förderung der Biodiversität bereitzustellen. Aber die Mittel wurden von Brüssel nie ausgeschöpft. Die Europäische Kommission hat mehr Vertrauen in die kommerziell organisierte Biotechnologie als in die Natur. Erst im September 1993 ließ sich die Kommission dazu bewegen, das Problem der genetischen Erosion ernstzunehmen und einen „Verordnungsvorschlag über die Erhaltung, Beschreibung und Nutzung des Landwirtschaftlichen Genpotentials“ vorzulegen. Kein Durchbruch, aber ein erster Schritt.Bois

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