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Topfdeckel auf Futtersuche

■ Kampnagel: Matt Heckerts Maschinenpark sucht sich vorsichtige Freunde

Es ist still. Das Publikum betritt die dunkle Fabrikhalle und schleicht vorsichtig um die Stahlungeheuer, die da hocken, sitzen, hängen und schweigen. Höchste Anspannung. Die Ruhe vor dem Gewitter. Ping – ein erstes Hämmerchen rührt sich, dann beginnen sie von allen Seiten ihren Tanz. Verfallen in einen so gleichmäßigen Rhythmus, daß man sich nach dem ersten Schreck schon wieder entspannen will. Da beginnt ein überdimensionierter Topfdeckel auf dem Boden zu scheppern, bewegt sich mit Getöse auf die zögernden Umstehenden zu.

Eigentlich kann einem ja bei einer solchen Abendveranstaltung nichts passieren, darf ja nicht. Aber es ist auch niemand da, der einem sagt, wie groß der Sicherheitsabstand sein muß. Der Topfdeckel sieht jedenfalls nicht so aus, als ob er Rücksicht auf etwaige unter ihn geratende Füße nähme. Im Gegenteil: Diese riesige Stahlassel gebärdet sich ärgerlich, wie auf verzweifelter Futtersuche.

Die Aufmerksamkeit ganz auf die Sicherheit der Füße gerichtet, schleicht sich eine Bewegung in Augenhöhe ins Bewußtsein. Das vorherrschende grüne Licht wird verdrängt von einem freundlichen Gelb, in dem das zentrale Objekt angestrahlt wird. Ein schulterhoher Tisch mit vier Stahlreifen, groß wie Wagenräder. Sie beginnen einer nach dem anderen, sich majestätisch in Schwung zu setzen. Sie finden ihren Takt, kreiseln gemeinsam, eine perfekte Choreographie. Maschinenperfektionismus. An der Wand umkreisen sich, größenverzerrt, die Schatten in wellenförmiger Harmonie.

In der Fabrik wird heute produziert. Viele bekannte Klänge aus der Musik, orchestral und anarchisch. Glockenklang. Dann wieder Industrielärm mit monotonen Geräuschen. Das Dengeln und Surren, Singen und Brummen erfüllt den Raum und die Zuhörer. Die Maschinen machen angst. Unsicheres Lachen, unwillkürliches Zusammenzucken. Immer wieder Überraschungen. Nach fast 60 Minuten werden die Monster zum Freund. Sie werden mutig beklopft, vorsichtig gestreichelt.

Matt Heckert, der vom Computer aus die Einsätze, die Geschwindigkeit und die Lautstärke seines „Mechanical Sound Orchestras“ dirigiert, nimmt sich ganz bescheiden aus an seinem im Dunkel gelassenen Steuerpult. Keine einführenden Worte, nach dem Schlußapplaus beeilt er sich, eine beschwingte Melodie über die Lautsprecher zu schicken. Der Ex-Survival-Research-Laboratories-Mitstreiter kreiert Situationen, die man erleben muß, um sie wirklich zu verstehen. Die Möglichkeit dazu gibt es noch einmal am Freitag um 21.00 Uhr und am Sonnabend, mit Intro, Outro und Dancefloor im Foyer (ab 22 Uhr). Ilka Fröse

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