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Tonträger - Art BrutBesser als sehr gut ist noch besser

Kommentar von Tobias Rapp

So schreibt man perfekte Popsongs: "Its A Bit Complicated", das neue Album der britischen Pop-Band Art Brut.

Waren nicht auf der Kunsthochschule, klingen aber so, als hätten sie sie zumindest abgebrochen: Art Brut Bild: emi music

M an möchte endlos zitieren. "Wed taken our clothes off, in the rewarder/ And youre leavin your shoes on to make you look taller/ And I cant say Im not enjoying the kissing/ But Ive a sneaking suspicion that youre not really listening// I know I shouldnt/ It is so wrong/ To break from your kiss/ To turn up a pop song." Dies sind die ersten acht Zeilen der neuen Platte der britischen Band Art Brut, "Pump Up The Volume" heißt das Stück, die musikalische Begleitung kann man sich als mit grobem Keil zurechtgekloppten, leicht angepunkten Kunsthochschulabbrecher-Rock vorstellen. Aber das Entscheidende ist diese Stimme und was sie zu erzählen hat.

Eddie Argos heißt der Sänger von Art Brut, und er dürfte der gegenwärtig begabteste Miniaturenkritzler des britischen Pop sein. So wie hier. Die Situation ist klar. Ein Junge und ein Mädchen machen herum, es geht nicht um das große romantische Gefühl, sondern um das reine Herummachen, deshalb die Erwähnung der Schuhe. Aber kaum hat der Junge diese gesehen, kommt er von dem Bild nicht mehr los, das er und das Mädchen abgeben. Er sieht sich auf einmal beim Küssen, das Ganze wird zu einem Film, womit die Musik, die bisher einfach im Hintergrund lief, auf einmal an Wichtigkeit zunimmt. Man mag für schnellen Sex zusammen in die Wohnung gekommen sein, und das Mädchen mag nach wie vor glauben, dass es darum geht. Für den Jungen gibt es jetzt nur noch die Situation, die es zu perfektionieren gilt und die er genau dadurch zerstört. Er steht auf und dreht die Musik lauter. So schreibt man den perfekten Popsong.

Machen wir es einfach: Es gibt drei unterschiedliche Konzepte, die die neuen britischen Bands für ihr zweites Album entwickelt haben. Erstens das Bloc-Party-Prinzip: nach einem überzeugend heruntergerotzten Debüt alles komplizierter machen, um zu beweisen, dass man wirklich etwas zu sagen hat. Nicht gut. Zweitens das Arctiv-Monkeys-Prinzip: nach einem überzeugend heruntergerotzten Debüt alles lassen wie gehabt, bloß langweiliger werden. Auch nicht gut. Viel zu selten angewendet dagegen drittens, das Art-Brut-Prinzip: nach einem überzeugend heruntergerotzten Debüt alles so lassen, wie es ist, bloß noch besser werden.

Schon das erste Album der Band von 2005, "Bang Bang Rock n Roll", lebte von den Eddie-Argos-Miniaturen, die er in einem ziemlich unnachahmlich Singsang vor sich hin näselt. Von dem kleinen Euphorieschub ("Modern art makes me wanna rock out!") oder der Fluchtfantasie ("Im considering a move to L. A."). "Its A Bit Complicated" baut dies noch aus. Wie in dem wunderbaren "Jealous Guy", ein Song über die Höllenqualen eines Jungen, der neben seiner schlafenden Freundin liegt und nicht weiß, ob der Umstand, dass sie nach einem Kuss bereits eingeschlafen ist, bedeutet, dass er so dermaßen gut küssen kann oder das genaue Gegenteil: Hatte sie möglicherweise Sex mit einem anderen? Und wenn schon Zweifel, dann richtig: Hat sie bei ihren Exfreunden auch so ungehindert durchschlafen können?

Die große Schule des britischen Pop: Modelle des Jungssein nicht nur zu behaupten, sondern sie so zu skizzieren, dass der coole Zweifel an Sinn und Zweck dieser Modelle Teil der Behauptung ist. Man muss es ja leben. Einige deutsche Bands haben aus diesem Zweifel ein eigenes Genre gemacht - interessanterweise haben sie auf "Its A Bit Complicated" einen eigenen Auftritt. "We are Hamburg School" singen Art Brut einmal. Was gar nicht so weit hergeholt ist. Viele Elemente des Diskurspop finden sich auch bei Art Brut - gerade haben sie andere Bands dazu aufgefordert, sich ebenfalls Art Brut zu nennen. Nur: Art Brut sind nicht nur schlau. Sie sind auch lustig.

Art Brut: "Its A Bit Complicated" (EMI)

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1 Kommentar

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  • S
    Stereotine

    Ja, Art Brut sind mehr als ein Lichtblick! Endlich eine neue Lieblingsband: Songs ohne nervenden Schnickschnack, doch dafür mit viel feinsinniger Ironie und sehr kraftvoll. Man sollte ruhig auch mal betonen, dass sie außerdem eine wirklich gute und unterhaltsame Liveband sind.

    Selten habe ich so viel Spielfreude erlebt, wie bei ihrem Konzert im Berliner "Lido" Anfang Juni. Bald wird man Art Brut vermutlich nur noch für viel Geld in großen Hallen erleben dürfen...

    Ein Geheimtipp sind sie bald nicht mehr! Doch darüber freuen wir uns auch als über Dreißigjährige :-)