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■ Tom Jobim ist totKein Bossa Nova mehr am Strand von Rio

Rio de Janeiro (taz) – Kein Wort, nur eine Träne, tief im Innersten. So verabschiedeten sich die Einwohner Rios von dem berühmtesten Sohn ihrer Stadt, Antonio Carlos Jobim, der am Donnerstag nach einer Blasenoperation im fernen New York starb. Die Trauer um den berühmten brasilianischen Komponisten, Vater des Bossa Nova, schnürte den Anwohnern der Copacabana Kehle und Magen zu. Restaurants und Bars waren wie leergefegt in der verregneten Sommernacht. Rios Bürgermeister Cesar Maia ordnete drei Tage Staatstrauer an.

„Tom ist die schönste Sache, die mir jemals begegnet ist“, erklärte der brasilianische Cellist Jacques Morelembaum in Anspielung auf Tom Jobims berühmte Komposition „Garota de Ipanema“ (Mädchen von Ipanema). Der 1963 aufgenommene Bossa Nova, eine Hymne an die brasilianische Strandschönheit Helo Pinheiro, die täglich an der Bar vorbeischlenderte, wo Tom Jobim und der Dichter Vinicius Morais sich beim Anblick der braungebrannten Mädchen gegenseitig inspirierten, verkaufte über eine Million Schallplatten. Seit gestern weht über der Bar in dem vornehmen Stadtviertel Ipanema eine schwarze Fahne.

In der Eckkneipe „Cobal do Leblon“, wo der 67jährige jeden Samstag mit Freunden Whiskey trank, wurde die halbleere Flasche des edlen schottischen Tropfens zum Relikt erklärt. „Die Flasche bleibt hier stehen, bis der Rest verdunstet“, schwört Kneipier Eduardo Raposo. Der Besitzer des Grillrestaurants „Plataforma“, Alberico Camapgna, wo Tom Jobim sich beinahe täglich seiner Vorliebe für üppige Fleischportionen hingab, glaubte der Todesnachricht erst nach einem Anruf von Jobims Schwester Helena: „Die beste Ehre, die wir ihm erweisen können, ist Respekt. Wir werden hier keine Gedenkveranstaltung inszenieren.“

„Immer wenn Tom das Klavier öffnete, verbesserte sich die Welt, wenn auch nur für einige Minuten“, schreibt der brasilianische Journalist Ruy Castro in seinem Nachruf auf das international anerkannte Genie. Dabei sollte Antonio Carlos Brasileiro de Almeida Jobim, der am 25. Januar 1927 in Rio de Janeiro zur Welt kam, eigentlich gar nicht Musiker werden. Seine Mutter Nilza träumte von ihrem Sohn als einem erfolgreichen Architekten und hatte das Klavier in der Garage für Schwester Helena angeschafft. Doch Helena ließ das Instrument links liegen, und nach einiger Zeit entdeckte Tom Jobim die Klangkraft der Tasten für sich.

Nachdem die notwendigen theoretischen Grundlagen gelegt worden waren, sprudelte es aus Tom Jobim nur so heraus. 400 seiner Kompositionen, darunter „Corcovado“, „Desafinado“, „Orfeo Negro“ und „Samba de uns nota so“ wurden bereits auf Schallplatte aufgenommen. Gegenüber der jungen Bossa-Nova-Sängerin Leila Pinheiro bekannte das Genie vor zwei Wochen in einem Interview, zu Hause in seiner Schublade seien noch weitere 300 Partituren versteckt. Die Tantiemen für die bereits aufgezeichneten Titel vermachte Tom Jobim in der vergangenen Woche in New York einem Fonds zur Unterstützung von Aidskranken.

Tom Jobim erweiterte die brasilianische Volksmusik, reich an Rhythmus und Melodien, um schräge, aber wohlklingende Harmonien. Gepaart mit der gedämpften Stimme Joao Gilbertos an der Gitarre, durchdrang der sanfte brasilianische Beat alle Grenzen und Barrieren. Jobims „ausgefeilte, aber spontane“ (Eigenbeschreibung) Musik machten den „Carioca“, wie sich die Einwohner Rios nennen, zum Weltbürger. „Trotz der langen Auslandsaufenthalte war seine Seele durch und durch brasilianisch“, beschreibt der Produzent Selson Motta seinen Freund.

Tom Jobim fühlte sich überall zu Hause, denn er gedachte seiner tropischen Wurzeln auf jedem Breitengrad: „Ich liebe diese Erde. Sie gehört ganz mir. Brasilien hört nicht in Céara (= nördlicher Bundesstaat, Red.) auf. Es reicht bis nach Alaska oder Texas, Brasilien ist grenzenlos.“ Astrid Prange

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