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Tötung der Mutter bezeugt

■ Neunjähriger Junge belastet in Prozeß den Angeklagten

Mit einer Hand preßte der neunjährige Richard K. seinen grünen Stofflöwen an sich, mit der anderen umklammerte er seine Rechtsanwältin, als er gestern den Gerichtssaal betrat. Der Junge hatte vor einem halben Jahr mitansehen müssen, wie seine Mutter Marianne K. erstochen worden war. Gestern wurde das Kind im Prozeß gegen den mutmaßlichen Täter als Zeuge gehört. Wegen Totschlags angeklagt ist der 40jährige gebürtige Türke Refek S., der mit Marianne K. sechs Jahre liiert war (die taz berichtete).

Richard ist das jüngste von sieben Kindern der zur Tatzeit 50jährigen Marianne K. Bevor der Junge gestern morgen vor Gericht erschienen war, hatte seine Rechtsanwältin Adelaine Stronk vergebens beantragt, den Angeklagten während der Dauer der Zeugenvernehmung von der Verhandlung auszuschließen. Laut Strafprozeßordnung kann das Gericht dies anordnen, wenn bei Anwesenheit des Angeklagten eine schwerwiegende Gefährdung der Gesundheit des Zeugen besteht. Von der Regelung machen Gerichte gelegentlich in Prozessen wegen sexueller Kindesmißhandlung Gebrauch, obwohl dies ein Revisionsgrund sein kann. Das Gericht lehnte den Antrag gestern mit der Begründung ab, erhebliche Nachteile für das Wohl des Zeugen seien nicht zu befürchten.

Stronk hatte ihren Antrag damit begründet, der Junge leide seit der Tat unter Kopfschmerzen und Erbrechen. Schon der Gedanke daran, Refek S. im Prozeß wiedersehen zu müssen, versetze das Kind in Panik. „Richard fürchtet, daß ihm ähnliches wie seiner Mutter geschieht“, so Stronk. Die Anstrengung war dem kleinen Richard ins Gesicht geschrieben, als er gestern mit seinem Stofflöwen und feuerroten Wangen den Saal betrat und dabei krampfhaft gegen die Tränen anzukämpfen suchte. Indem sie das Kind auf ihren Schoß nahm, verhinderte Rechtsanwältin Stronk zumindest einen Sichtkontakt zum Angeklagten und ermöglichte so, daß Richard in Bruchstücken auf die Fragen des Vorsitzenden Richters antworten konnte. Demzufolge hatte Refek S. sich am Tatmorgen im Keller des Mietshauses versteckt, als Richard von seiner Mutter zum Brötchenholen geschickt worden war. Als das Kind zurückkehrte, war die Haustür abgeschlossen. Deshalb eilte Marianne K. die Treppe hinunter, um ihrem Sohn zu öffnen. In dem Moment kam Refek S. laut Richard mit einem Messer in der Hand aus dem Keller. „Mutti versuchte wegzulaufen, aber er war schneller.“ Richard sah zwei Armbewegungen von Refek S., „dann lag Mutti auf dem Boden“. Der Angeklagte hatte ausgesagt, Marianne K. sei mit einem Messer in der Hand die Treppe heruntergekommen. Der Prozeß wird Mittwoch fortgesetzt. plu

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