■ Töpfer fordert die Bürger auf, politisch zu handeln: Die Pendler ernst nehmen!
Die Mehrheit der Deutschen, so verkündet Minister Töpfer vor Jahresschluß, ist trotz Ozonloch und drohender Klimakatastrophe wild entschlossen, weiter mit dem Auto zur Arbeit zu fahren. Selbst wenn der Benzinpreis verdoppelt würde, wollen – nach einer von seinem Ministerium in Auftrag gegebenen Umfrage – immer noch 74 Prozent der Westdeutschen und 66 Prozent der Ostdeutschen in der eigenen Blechkiste zur Arbeit rollen.
Angesichts dieser vermeintlich harschen Wirklichkeit übt sich Minister Töpfer in Appellen: Wenn das globale Klima gerettet werden soll, müßten alle, auch die Pendler, den Gürtel enger schnallen, respektive weniger Auto fahren. Recht hat er. Nur scheint ihm entgangen zu sein, daß er nicht für Appelle, sondern für Entscheidungen zuständig ist. Den Freibrief zum Handeln haben ihm die befragten Bürgerinnen und Bürger gleich mitgeliefert. Sie wollen auch bei einem Preis von drei Mark für den Liter Super nicht auf die eigene Blechkiste verzichten – weil sie glauben, sie können nicht verzichten. Sie sind bereit zu zahlen, monieren aber den schlechten öffentlichen Nahverkehr. Bis zum Beweis des Gegenteils muß diese Klage erst einmal ernstgenommen werden. Busse und Bahnen sind, allen gegenteiligen Beteuerungen dieser Bundesregierung zum Trotze, in den vergangenen Jahren mehr denn je als Stiefkinder der deutschen Verkehrspolitik behandelt worden. 200 Manager rasen von Hamburg nach Frankfurt im Intercity Express, 2.000 Pendler bleiben zwischen Hanau und Frankfurt auf dem Abstellgleis stehen, damit die Manager einige Minuten schneller sind.
Pendler haben prinzipiell das gleiche Recht auf eine Angebotsverbesserung wie Manager. Eine solche ist zudem ein hervorragendes Instrument der Klimapolitik. Eine Verdoppelung der Mineralölsteuer würde sie auch finanzierbar machen. Doch die Bundesregierung appelliert, statt zu handeln. Es drängt sich der Verdacht auf, daß es gar nicht darum geht, umweltpolitische Handlungsfelder auszuloten. Vielmehr soll die Umweltpolitik Töpfers mit solchen Umfragen als demokratischer Willensakt und die Kürzung der Ausgaben für den Umweltschutz als mehrheitsfähig verkauft werden. Der Minister hat dann schon vorab eine Entschuldigung für die wachsende umweltpolitische Ignoranz seiner Regierung.
Gute persönliche Vorsätze können auch 1993 politisches Handeln nicht ersetzen. Sie schaden aber auch nicht. Wer die persönlichen Autokilometer verringern will, sollte sich nicht davon abbringen lassen. Wer den Sitzplatz in der Bahn mit dem Platz hinter dem Lenkrad vertauscht, dem bleibt vielleicht sogar Zeit für einen Appell – an den Minister.
Hermann-Josef Tenhagen
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen